Mirani, Johann Heinrich

Johann Heinrich
Mirani
25. 4. 1802
(Prag, CZ)
30. 9. 1873
Wien (A)
Dramatiker, Organisator von Theatervorstellungen, Übersetzer

In Prag beteiligte er sich 1823–24 an der Tätigkeit des tschechischen Laientheaters der Familie Teisinger. Ab 1833 wirkte er in Wien, 1840 debütierte er als Dramatiker im Theater in der Josefstadt, ab 1845 war er Sekretär und Hofautor des Theaters an der Wien (Direktor F. Pokorny). Zusammen mit J. Svoboda bereitete er tschechischsprachige Vorstellungen vor. Erfolgreicher Prosaautor und Autor von Einaktern. Übersetzer von Klicperas Werken ins Deutsche.

Sein Vater war Seifensieder in der Prager Altstadt im Haus Nr. 857 (das Haus ist nicht erhalten geblieben). Tochter Therese Mirani (1824 –1901) war eine bedeutende Spitzenklöpplerin.

M. besuchte das Akademische Gymnasium (1811–17) und ein Jahr lang philosophisches Vorbereitungsstudium an der Universität- Auf Wunsch seines Vaters ließ er jedoch vom Studium ab und arbeitete im Gewerbebetrieb der Familie.

Bereits als Gymnasiast interessierte er sich für Literatur und Theater. 1821 veröffentlichte er drei Gedichte in der Zeitschrift Hyllos (Chiffre J. M.). 1823–24 beteiligte er sich wahrscheinlich an der Tätigkeit des tschechischen Laientheaters der Familie Teisinger in Prag. Nach dem Tod seines Vaters ging er 1833 nach Wien, wo er einige Jahre lang als Buchhalter arbeitete. In literarische kreise wurde er durch den Dichter J. N. Vogl eingeführt. Als Dramatiker debütierte M. nicht besonders erfolgreich mit dem Einakter Die Gefälligen im Theater in der Josefstadt (9. 9. 1840). Er lernte den Direktor und Inhaber dieser Bühne F. Pokorny nöher kennen, der Künstler aus Böhmen um sich scharte und oft Theaterleute aus Prag empfing (u. a. den Regisseur und Schauspieler W. Just). M. war zuerst wahrscheinlich bei Pokorny auf der Sommerbühne in Pressburg engagiert, 1845 wurde er dessen Sekretär und Hofautor seines Theaters. Er organisierte den täglichen Betrieb, bereitete das Schauspielrepertoire vor und blieb zusammen mit weiteren Dramatikern (1849 K. Swiedack und A. Berla, später bis zu dreizehn unter Vertrag genommene Autoren) während der Erweiterung seines Theaterunternehmens (Sopron, Baden bei Wien, Theater an der Wien, Fünfhaus-Arena) in Pokornys Diensten. Die gesamte Zeit der Zusammenarbeit über genoss M. großes Vertrauen der Familie (1852 vertrat er u. a. die Interessen der minderjährigen Kinder beim Verkauf des Theaters in der Josefstadt).

Nach Pokornys Tod 1850 wirkte M. weiter in seiner Funktion unter der Leitung seines Sohnes Alois fort, der versuchte, Publikum aus dem Kreise der sprachlichen Minderheiten Wiens zu gewinnen. M. beteiligte sich offensichtlich an der Veranstaltung tschechischer Stücke, die das Mitglied der Wiener Hofoper J. Svoboda, ein ehemaliger Schauspieler und Sänger des Prager Ständetheaters, initiiert hatte. Die ersten beiden Vorstellungen von überwiegend tschechischen Laienspielern fand im Theater in der Josefstadt statt (Klicperas Divotvorný klobouk 29. 12. 1850 und Dobré jitro 23. 3. 1851), danach zog man ins Theater an der Wien um (Tyls Paličova dcera 21. 4. 1851, Paní Marjánka matka pluku, Castelli und Procházka: Dva přátelé a jediný kabát, Klicpera Rohovín Čtverrohý). Im Februar und März 1855 bereiteten M. und Svoboda zusammen mit J. E. Bíl und I. M. Rossa einige tschechische Vorstellungen im Theater in der Josefstadt vor (Klicpera: Veselohra na mostě, Štěpánek: Hastroš, Štěpánek: Pivovár v Sojkově, Macháček: Ženichové, Holbein: Fridolín aneb Cesta do železných hutí). Er organisierte die Vorstellung von Tyls Jiříkova vidění zugunsten des Ordens der barmherzigen Schwestern (3. 12. 1856), wo er neben J. Svobod und professionellen Schauspielern auftrat, die nachweislich ihre Rollen tschechisch gelernt hatten (die Damen Rudini, Mellin und Laber, die Herren Grün und Röhring).

Als 1862 F. Strampfer das Theater an der Wien kaufte, wurde M. entlassen. In den letzten Jahren lebte er nur aus dem Ertrag seines literarischen Schaffens, wahrscheinlich mit deutlichen existenziellen Schwankungen. 1872 wurde ihm eine finanzielle Unterstützung von der Wiener Zweigstelle der deutschen Schiller-Stiftung zugestanden. Seine Stücke fanden jedoch erst nach 1866 bei der Gesellschaft von Direktor J. Fürst Anklang, die in Wien und weiteren europäischen Städten ältere Wiener Stücke aufführten (weitere Autoren K. Swiedack, F. Kaiser, K. Haffner, A. Berla, J. Böhm, K. Bayer u. a.). Nach 1871 erhielt M. bei Fürst einen dauerhaften Arbeitsvertrag, doch er starb kurz darauf. Die Beerdigung richtete der Wiener Verein Concordia von der Pfarrkirche St. Ulrich (Spittelberg) auf dem Schmelzer-Friedhof aus.

M.s erste literarische Texte erschienen im Österreichischen Morgenblatt. Zeitschrift für Vaterland, Natur und Leben (8. 6. 1836 u. a. die deutsche Übersetzung von Klicperas Gedicht Loketský zvon, Ü: Die Ellenbogner Glocke). Er übersetzte ebenfalls Klicperas Novelle Točník (Die Burg Tocznik), die im Sammelband Der Novellist. Erzählungen, Mährchen, Sagen und Phantasiestücke abgedruckt wurde (Ed. A. Schmidt, Wien 1838, die Publikation ist nicht mit der Zeitschrift Der Novellist identisch, die J. Umlauft 1838 in Prag herausgab). Eine lobende Rezension der sprachlichen Qualitäten von Točník (Der österreichische Zuschauer, 4. 12. 1837) brachte M. weitere Aufträge ein. Ein Jahr später fertigte er die Übersetzung von Klicperas Einakter Veselohra na mostě (Das Lustspiel auf der Brücke) an. Ab 1839 erschienen in Wiener Blättern (insb. in der Zeitschrift Humorist) und in literarischen Sammelbänden M.s Prosaarbeiten zu verschiedenen Themen. Diese widmeten sich in starkem Maße der ältesten Geschichte der böhmischen Länder, und M. gab einige von ihnen in dem Sammelband Historisch-romantische Erzählungen aus der Vorzeit Böhmens (1842, 2. Ausgabe 1845) heraus. Er schrieb auch kleine Skizzen aus dem Theater- und Musikleben, die er ab dem Beginn der vierziger Jahre dem Prager literarischen Sammelband Erinnerungen an merkwürdige Gegenstände und Begebenheiten zur Verfügung stellte.

Als Dramatiker hatte M. vor allem mit Einaktern Erfolg. Zu den ersten zählten das Märchen Die Zebrahaut (1840) und die Posse nach einem französischen Sujet über eine Personenverwechslung Hier ein Schmidt, da ein Schmidt (1847). Viele Reprisen und mehrere Übersetzungen erreichte Die Judenfamilie (1859), ein Bild der schwierigen Beziehung zwischen der Generation eines jüdischen Vaters und der Familie seines assimilierten Sohnes. Auf der Prager deutschen Bühne hatte das Stück zwar keinen Erfolg bei der Kritik und wurde auch nicht wiederholt, dafür wurde es in tschechischer Übersetzung als Židovská rodina gespielt. Positiv aufgenommen wurden auch die Stücke aus der Geschichte, Ein Lehrer zur Zeit Joseph des Zweiten (1867) über die Beziehung zwischen Aristokratie und Lehrerschaft in josephinischer Zeit, und Szenen aus dem Leben der ehemaligen Kaiserin Maria Theresia und ihr Kammerheizer (1869), die die Möglichkeit einer reichen Ausstattung und stimmungsvoller Kostüme boten. Einige Stücke blieben nur Manuskripte, ihre Aufführung konnte nicht ermittelt werden. Einem Nachruf in der Neuen Freien Presse zufolge kam M. am besten als Autor in Retrospektiven und älteren historischen Sujets zum Tragen, wobei er „noch ganz ein Mensch aus der Welt des Vormärz ist“. M. war in Wien bekannt und wurde geschätzt, auch wegen seines angenehmen und zuvorkommenden Verhaltens in den komplizierten Theaterverhältnissen. Seine prosastücke wurden in der Regel höher bewertet als seine dramatischen Arbeiten.

Chiffre

J. M. 

Stücke

Die Gefälligen, Theater in der Josefstadt, 1840; Die Zebrahaut, h: E. Titl, StD 1841; Wahrheit und Täuschung oder Die Nebelkappe, ein Märchern mit Gesang, M: K. Binder, ebenda 1841; Das grüne Band, weitere Autoren: K. Elmar, H. von Levitschnigg, J. G. Seidl, F. X. Told, J. N. Vogl, M: F. Suppé, ebenda­ 1842; Der Hexenmeister, ebenda 1843; Das verlorene Gedächtnis, M: K. Binder, ebenda 1844; Die Beiden Narren oder Der Bettler vom Hohen Markt in Wien, ebenda 1844; Der Tambour der Garde, dle É. G. Saint Hilaire, M: E. Titl, Theater an der Wien 1846; Hier ein Schmidt, da ein Schmidt, noch ein Schmidt und wieder ein Schmidt, ebenda 1847; Eine Judenfamilie (Teile: Der BünkeljudeDer BörsenspekulantDie alten LeuteDer Weihnachtsabend), ebenda 1859, tsch. m. Tit. Židovská rodina, Ü: E. Pešková, Sommertheater in der Pštroska 1870, D. 1874; Eine Gemeinde, Theater an der Wien 1860; Der Schwindler, M: F. Suppé, ebenda 1861; Ohne Heirat (ebenso wie Schluß ohne Heirat), Carltheater Wien 1862; Ein junger Drache, M: J. Hopp, Theater an der Wien; Das Wollgeschäft, Carltheater Wien 1862; Das Herz hat Recht, Theater in der Josefstadt 1865; Ein Lehrer zur Zeit Josephs des Zweiten, ebenda 1867; Maria Theresia und ihr Kammerheizer, Pest 1869.

Übersetzung

Das Lustspiel auf der Brücke, D. in Taschenbuch für das Theater in der Leopoldstadt (Wien) 25, 1838, S. 211–250.

Quellen

Wiener Stadt- und Landesarchiv: Sterbevermerk, nach Mitteilung von E. Offenthaler. AMP: Aufstellung der Prager Hausangehörigen 1830–1910 (Schwester Antonia Mirani, *1813); Aufnahmsbogen einheimischer Elternloser 1846, Nr. 227, Karton 190. Katalog der Schüler des Akademischen Gymnasiums in Prag 1811/12–1816/17; Handschriftensammlung, Sign. 8290, Manuskript des Stücks Eine Luftreise in Jahre 1896 oder Liebes-Abentheuer eines Chinesen. ÖNB: Musikabteilung, Partituren der Musik zu M.s Stücken (K. Binder: Das verlorene GedächtnisWahrheit und Täuschung oder Die Nebelkappen, J. Hopp: Ein junger Drache, A. Müller: Maria Theresia und ihr Kammerheizer). SOkA Karlovy Vary: Fonds Stadttheater, Zettel der Gesellschaft von J. Lutz und J. Ziegler 28.5.1860 Eine Gemeinde, 3. 6. 1860 Eine Judenfamilie, Karlovy Vary.

Literatur

J. K. Chmelenský: Teisingerovo české divadlo v Praze [Teisingers tschechisches Theater in Prag], Česká včela (Praha) 1, 1834, S. 208, 214; nicht sign. [F. L. Graf von Schirnding]: Österreich im Jahre 1840. Staat und Staatsverwaltung, Verfassung und Cultur, Leipzig 1840, S. 318; Bohemia (Prag) 16. 4. 1841 (Die Zebrahaut), 10. 7. 1842 (Das grüne Band), 29.1.1860 (Eine Judenfamilie), 31. 8. 1874 (Maria Theresia und ihr Kammerheitzer); Květy (Praha) 9. 7. 1842; Camellien. Vaterländisches Album (Prag–Wien) 2, 1841, S. XLIII; Der Wanderer (Wien) 21. 8. 1844 (Die Beiden Narren oder Der Bettler vom Hohen Markt in Wien); Almanach für Freunde der Schauspielkunst auf das Jahr 1845, 1846, S. 340; 1849, S. 279; 1852, S. 400; 1853, S. 353; 1862, S. 263; Der Humorist (Wien) 6. 10. 1846 (Der Tambour der Garde), 1. 1. 1851, 25. 3. 1851, 8. 4. 1851, 23. 4. 1851, 11. 3. 1855; Wiener Zeitung 18. 3. 1855; Morgen-Post (Wien), 18. 11. 1856, 5. 12. 1856; Jörgel Briefe (Wien) 31. 10. 1859●; Nachrufe: Neue Freie Presse (Wien) 2. 10. 1873; Blätter für Musik, Theater und Kunst (Wien) 3. 10. 1873●; Moravská orlice (Brno) 30. 12. 1874; V. Žížala-Donovský: Divadelní táčky, Národní listy (Praha), 25. 11. 1880; Kronika divadla v Čechách, Aus den Nachlassakten von J. J. Stankovský fertiggestellt von J. L. T[urnovský], Prag 1882, S. 67, 68; A. Vachata: České divadlo ve Vídni. Po stopách jeho vývoje [Das tschechische Theater in Wien. Auf den Spuren seiner Entwicklung], Národní listy (Praha), 12. 8. 1912; K. Goedeke: Grundriss zur Geschichte der deutschen Dichtung, 2. Ausg. Dresden 1919, Heft 31, Bd. 12, 1–11, S. 301, 361 [Chiffre J. M., fehlerhaftes Datum †]; G. Herzog-Hauser: Therese Mirani, Neue Freie Presse (Wien), 17. 4. 1925; Vondráček I., S. 45152, 454; A. Bauer: Das Theater in der Josefstadt zu Wien, Wien–München 1957, S. 124, 226 [Repertoireaufstellung 1855], 259; F. Hadamowsky: Wien. Theater-Geschichte III, Wien 1988, S. 655; A. Estermann: Die deutschen Literatur-Zeitschriften 1815–1850Biographien, Programme, Autoren,  München–London–New York–Paris 1991; G. Marinelli-König: Die Böhmischen Länder in den Wiener Zeitschriften des Vormärz I (1805–1848), Wien 2011, S. 408–419, 794–796.

Wurzbach, Rieger, Malý, Kosch, ÖBL [fehlerhaft †]


Bildung: 2016

Autor: Ludvová, Jitka