Löwe, Gustav

Gustav
Löwe
23. 4. 1859
Prag
3. 5. 1913
Dresden
Schauspieler, Bühnenschriftsteller

Als Laienschauspieler begann er mit sechzehn Jahren in Švestkas Nikolaus-Theater in der Prager Altstadt. 1881 trat er in der Sommerarena des Deutschen Nationaltheaters in den Prager Weinbergen auf. 1882 schloss er sich einer fahrenden Gesellschaft in Leitmeritz an und trat in Bayern und Österreich auf. 1885 Mitglied des Ensembles des Ständetheaters (Rollenfach komische Rollen), wo er bis 1912 blieb. Er schrieb einige Parodien, die in Wien und Berlin gespielt wurden. Er war Mitglied des Prager Künstlervereins Concordia. Er organisierte Wohltätigkeitsauftritte und erhielt für seine philanthropische Tätigkeit von Franz Joseph I. das Ritterkreuz. Seine Frau Rosa Löwe geb. Rosenheim (1861 – 1942) war Sopranistin und Mitglied von Neumanns Opernensemble.

Hieß ursprünglich Gustav Löwy. L.s Vater, Karl Koppelmann Löwy (4. 5. 1835 Prag–17. 11. 1908 Prag), war Möbelhändler und wurde 1858, wahrscheinlich im Zuge seiner Trauung, als Prager Bürger registriert. Seine Mutter Franziska, geb. Morawitz (1. 4. 1842–2. 3. 1904), stammte aus Kunratice. Zwei jüngere Schwestern L.s starben im Kindesalter. Die Namensänderung wurde dem Schauspieler im Jahre 1897 amtlich genehmigt.

Gustav sollte beruflich offenbar die Nachfolge seines Vaters antreten (in einem Vermerk der Prager Stadtverwaltung wird er als Kaufmann bezeichnet), er wandte sich jedoch dem Theater zu. Seine Laufbahn begann am sog. Švestkovo  divadlo (Theater zu St. Niklas), einem Dilettantentheater in der Prager Altstadt. 1881 wurde er zu einem Auftritt auf der Freilichtbühne des Deutschen Volkstheaters im Heineschen Garten (auch: Deutsches Sommertheater) in Prag-Weinberge eingeladen und 1882 schloss er sich einer in Litoměřice (Leitmeritz) weilenden Wandertheatertruppe (evtl. der Truppe von Gustav Frey) an, wo er in der Rolle des alten Weigl in  Adolph L’Arronges VolksstückMein Leopold debütierte. Bereits im September 1882 trat er gemeinsam mit dem Ensemble des Prager Ständetheaters in einer Vorstellung am Neustädter Theater in Prag auf. Im Sommer 1883 gastierte er an Provinz- und Kurtheatern in Bayern und Österreich. Im bayrischen Bad Reichenhall soll die ehemalige Prager Schauspielerin Friederike Bognar eine seiner Vorstellungen gesehen und ihn im Herbst 1883 an den Leiter des Ständetheaters Edmund Kreibig empfohlen haben. Nach einem erneuten Probeauftritt am Deutschen Volkstheater wurde L. als Komiker engagiert. 1885 übernahm ihn Angelo Neumann in sein neues Ensemble („Naturbursche, komische Rollen“). L.s Bühnenpartner waren vor allem die Österreicher Carl Schlesinger (in Prag 1876–1897) und Willy Thaller (in Prag 1885–1898) und später Ernst Tautenhayn (in Prag 1901–1910), mit denen er in Stücken aus dem gesamten Spektrum der deutschen und österreichischen Bühnenliteratur auftrat (z.B. als Schmock in Freytags Die Journalisten oder auch in Stücken von Raimund, Nestroy, Benedix, Anzengruber u.a.). Darüber hinaus war er in zahlreichen aus dem Französischen übersetzten Schwänken und Komödien zu sehen. Dem Prager deutschen Theater blieb er, trotz mehrfacher Angebote für anderweitige Engagements, sein Leben lang treu. Öfter auf Reisen war er nur in den Jahren 1891–93, nachdem er eine amtliche Reisegenehmigung für ganz Europa erhalten hatte. Bis 1912 war er Mitglied des Prager deutschen Theaters und damit einer der am längsten an dieser Bühne tätigen Schauspieler. Er verließ das Theater unerwartet, ohne Abschied vom Publikum, auf Drängen seines Arztes und erlag nach kurzer Zeit einem schweren Herzleiden. L. ist auf dem Neuen jüdischen Friedhof in Prag-Strašnice (Block 11-16-1) begraben.

Beim Prager Publikum, auch dem tschechischen, erfreute sich L. einer außerordentlichen Beliebtheit. In einem im Prager Tagblatt veröffentlichten Nachruf ist zu lesen, dass er in 5266 Vorstellungen und 960 Rollen auf Prager Bühnen aufgetreten ist (letztmals am 9. 1. 1912 als Klavierlehrer Rosenbaum in Felix Saltens Einakter Schöne Seelen). Ursprünglich für komische Rollen engagiert, nahm er später Rollen aller Fächer und Genres an: Er war in Schwänken, Operetten und ernsthaften Dramen zu sehen und übernahm sogar Episodenrollen in Opern. Mitunter studierte er mehrere Rollen im selben Stück ein und wechselte diese im Lauf der Jahrzehnte. L.s Schauspieltalent basierte auf einer ausgeprägten Nachahmungs- und Charakterisierungsfähigkeit, die er zielgerichtet weiterentwickelte. Seine Figurencharakteristik umfasste nicht nur Körper und Gestik, sondern auch Sprache und Ausdrucksweise. So konnte er Figuren aus allen gesellschaftlichen Schichten darstellen. Er imitierte auch deutsche Dialekte und fremdsprachige Akzente. Zur großen Erheiterung des Publikums spielte er auch Frauenrollen (insbes. zusammen mit Willy Thaller, so z.B. zwei Frauenrollen in A. Bergens nach einer französischen Vorlage verfasstem Komödieneinakter Eine Vorlesung bei der Hausmeisterin, ab 1885). Modelle für die unterschiedlichsten Figuren seines Repertoires fand L. vor allem in Prag unter den Angehörigen beider Nationalitäten (der deutschen und der tschechischen). Richard Rosenheim [siehe Lit.] schreibt, er sei ein „liebenswerter Spiegel der Stadt und zugleich ihr treuer Sohn“ gewesen und habe die Zuneigung seines Publikums wirklich verdient.

L. verfasste mehrere Parodien, die in Wien und Berlin aufgeführt wurden (genannt werden Die offizielle FrauSymphonie in EssIn feiner’n KreisenMonna VannaQualleria rusticana). Zwei in Prag gedruckte Couplets sind erhalten geblieben: In feiner’n Kreisen  (Nationalbibliothek Prag, Musikabteilung) und Monna Vanna – Sensationelles Liebesspiel (Österr. Nationalbibliothek Wien, Musikabteilung). In der  Österreichischen Nationalbibliothek befindet sich auch sein Text Abschiedgruß dem Witze-Intendanten des Prager Theaters Joseph Simon und seiner Frau Gemahlin, anläßlich ihrer Uebersiedlung von Prag nach Wien in gefahrvollen Versen nachgeschrieben.   

L. war ein wichtiges Mitglied des Prager Kunstvereins Concordia, in dem sich Schriftsteller, Universitätsdozenten, Schauspieler, Journalisten und weitere gesellschaftlich einflussreiche Persönlichkeiten trafen. In den 90er-Jahren wurde ihm eine hohe portugiesische Auszeichnung wie auch die von König Ludwig II. eingeführte bayerische „goldene Medaille für Kunst und Wissenschaft“ zuteil. Darüber hinaus entwickelte er ein außergewöhnliches Maß an Wohltätigkeit. Wie der im Prager Tagblatt veröffentlichte Nachruf anführt, organisierte er fast drei Jahrzehnte hindurch öffentliche Auftritte von Amateurmusikern aus den Reihen des Prager Adels, die viel Geld für wohltätige Zwecke einbrachten, so z.B. für die Betreuung von jüdischen Waisenkindern in Prag. Für seine karitativen Aktivitäten wurde L. mit dem Ritterkreuz des Franz-Joseph-Ordens ausgezeichnet. Unter Aufwendung seines Vermögens gründete er die Gustav-Löwe-Stiftung, deren Zinsen zur Finanzierung von Kuraufenthalten für ältere Schauspieler dienen sollten.

L. war mit der Sopranistin Rosa Löwe, geb. Rosenheim (3. 1. 1861 Wien –3. 7. 1942?), verheiratet, die unter dem Künstlernamen Marianne Heim 1885–1900 Mitglied in Angelo Neumanns Opernensemble war. Sie sang insbesondere melodramatische Rollen (u.a. eine der Walküren in Wagners Rheingold in der Prager Inszenierung von Mahler 1885). Rosa war die Schwester von Carl Rosenheim (1857–1908), dem langjährigen Sekretär und Mitarbeiter des Leipziger und Prager Theaterdirektors Angelo Neumann.

Quellen

Das hier angeführte Geburtsdatum ist dem Einwohnerverzeichnis der Prager Stadtverwaltung Census of the Prague Population 1830–1949 entnommen (http://www.ahmp.cz/eng/index.html?wstyle=2&catalogue=1&lang=en). In der früheren Literatur wurde als Geburtsdatum zumeist der 22. 4. 1865 angegeben, dieses Datum wurde einem in der Zeitung Bohemia vom 14. 5. 1913 veröffentlichten Nachruf entnommen. Die falsche Datumsangabe könnte auf einer Verwechslung des Namens (Löwe – Löwy) im Geburtenregister beruhen. L.s Todesdatum wurde von der Prager Stadtverwaltung 1913 anhand des Totenscheins beglaubigt. Das Geburtsjahr 1859 wird ohne weitere Angaben auch in drei Einträgen zu dem Namen Gustav Löwe im Verzeichnis des Prager Polizeipräsidiums (Karton 347, Abb. 650, 651, 652) angeführt. Die Lebensdaten Rosa Löwes, geb. Rosenheim, sind ihrem Grabstein auf dem Neuen jüdischen Friedhof in Prag und dem Verzeichnis des Prager Polizeipräsidiums entnommen. 

Der österreichische Franz-Josef-Orden und seine Mitglieder, Wien 1912

Nachrufe: Prager Tagblatt 14. 5. 1913, Bohemia 14. 5. 1913 (mit einer Auswahl an Rollen);

Neuer Theateralmanach für das Jahr 1914, Berlin 1914, S. 171

Theateralmanach [Prag], 1884–1914

Literatur

Teuber III. 751, 770-771, 772, 777, 809, 810, 814, 816, 847

Prager Theaterbuch 1930, Prag 1930, S. 23, 26

Rosenheim, R.:  Die Geschichte der deutschen Bühnen in Prag, Prag 1938, S. 28, 44, 50, 56, 82, 87, 95, 103–137 passim, 149, 150, 157, 188, 213

Ludvová, J.: Až k hořkému konci. Pražské německé divadlo 1845–1945, Praha, Academia 2012, Kap. Dokumenty (Milrad: Opereta), Soupisy

Eisenberg, Flüggen, Kosch Th, ÖBL, Ulrich

Abbildungen

Rosenheim, Fotografie im Kostüm mit dem Schauspieler W. Thaller, nach S. 85; als Graf Pernwaldt (F. von Schönthan: Cornelius Voss), nach S. 210.

Neuer Theateralmanach für das Jahr 1914 – Fotografie mit Orden 

Karikaturen im Zyklus: So seid ihr! Prager Karikaturen von Gustav Croy mit Versen von E. F., Bohemia  31. 3. 1907, Beilage I 

Karikatur von Georg Jilovský, 1908, Sammlung des Židovské muzeum v Praze


Bildung: 30.11.2012

Autor: Ludvová, Jitka