Herbst, Friederike

Friederike
Herbst
1805
Neudorf / Temesvár
22. 6. 1866
Prag
Schauspielerin, Dramatikerin

Debütierte in Berlin. 1820 – 1821 wirkte sie am Prager Ständetheater, 1822 engagiert in Brünn im Rollenfach erste Liebhaberinnen. Nach einem Engagement in Breslau und Graz kehrte sie 1829 nach Prag zurück, wo sie zu den führenden Kräften des deutschen Schauspielensembles zählte. Sie verstand es, vielfältige Typen von Charakterrollen bis komische Rollen zu verkörpern. Nach ihrer Pensionierung (1854) unterrichtete sie Deklamation am Konservatorium.

Informationen über ihre Kindheit stammen nur aus dem Nekrolog in der Prager Bohemia (24. 6. 1866), vom dem direkt oder indirekt alle weiteren Autoren ausgehen. Viele Angaben lassen sich nicht überprüfen. Angeführt wird auch das Geburtsjahr 1803, hier wurde das Jahr 1805 aus ihrem Prager Aufnahms-Bogen im Archiv der Hauptstadt Prag übernommen (siehe Quellen). Dem Nachruf zufolge starb sie in der Nacht vom 22. auf den 23. Juni 1866, es werden beide Daten angeführt. H. wird oft mit anderen Schauspielerinnen dieses Namens verwechselt (um 1840 wirkten in mitteleuropäischen Theatern vier Schauspielerinnen mit diesem Familiennamen). Sie ist nicht verwandt mit Nina (Anna) Herbst, mit der sie am häufigsten verwechselt wird; sie wirkte nach ihr und parallel zu ihr einige Zeit im Prager deutschen Theater und am Prager Konservatorium.

Angeblich war H. die Tochter einer polnischen Gräfin, die einen nicht näher bekannten deutschen Schauspieler mit Namen Herbst geheiratet hatte. Die Gräfin soll ihre Tochter und ihren Mann angeblich plötzlich verlassen haben, und H. lebte ab ihrem zweiten Lebensjahr in Breslau in einem Wohltätigkeitsinstitut. Nach dem Tode ihres Vaters (1815) nahm sie der Schauspieler Ludwig Devrient auf, er wurde auf ihr Talent aufmerksam, ließ ihr eine künstlerische Ausbildung angedeihen und ermunterte sie, eine Laufbahn als Schauspielerin einzuschlagen. (Am 22. Januar 1833, nach Devrients Tod, druckte H. in der Allgemeinen Theater-Zeitung das Gedicht An den zu früh entschlafenen deutschen Mimen Ludwig Devrient ab). Sie debütierte mit 14 Jahren im privaten Theater Urania in Berlin (Kosch führt das Jahr 1817 an). Sie erhielt ein Engagement in Magdeburg, später bei der Gesellschaft von Prinzipal Anton Faller. Wie Teuber anführt (III, S. 158), spielte sie mit dieser Gesellschaft im Jahre 1820 in Bad Warmbrunn unterhalb des Riesengebirges (heute Cieplice Śląskie-Zdrój), wo - Graf Clam-Gallas sie sah und sie dem damaligen Regisseur des Prager Ständetheaters Franz Holbein empfahl. Nach Angaben des sog. Martinec-Verzeichnisses (siehe Quellen) debütierte H. in Prag am 28. 12. 1820 als Bibiana (Cuno: Räuber auf Maria Kulm) und wirkte dann nicht ganz eine Saison in diesem Theater (Der Allgemeine deutsche Theateralmanach für das Jahr 1822, Berlin, S. 454, führt sie unter den Schauspielern an, die nach Ostern 1821 Prag verließen).

Im Jahre 1822 war H. in Brünn (Taschenbuch…, Wien 1823, S. 327) im Rollenfach erste Liebhaberin engagiert. Als weitere Engagements führt die Literatur Breslau (1824–1826) und Graz (1826/27) an. Nachweislich trat sie 1828 im K. k. Privattheater an der Wien (damals zweite Bühne des Hoftheaters) in kleineren Rollen von Naiven und jungen Liebhaberinnen auf. Nach Prag kehrte sie spätestens im Januar 1829 zurück, in der Zeit des Direktorentriumvirats Polawsky – Kainz – Štěpánek. Zusammen mit Margarethe Binder spielte sie die Hauptrolle in der Premiere von Marsanos erfolgreichem Stück Die Helden (2. 2. 1829, gespielt auch als Zwei Witwen oder Die weiblichen Duellanten), in der die beiden Frauen in Rüstung und bewaffnet auftraten. Große Rollen spielte sie auch mit dem gastierenden Mitglied des Wiener Burgtheaters Moritz Rott (18. 3., Elvira, Müllner: Die Schuld, 21. 3., Thekla, Schiller: Wallenstein).

H. gehörte zu den führenden Kräften des deutschen Schauspielensembles des Ständetheaters, ihre Gage war immer überdurchschnittlich, nie jedoch die absolute Spitze. Direktor Johann August Stöger, der das Prager Theater zu Ostern 1834 übernahm, verlängerte ihren Vertrag. Gleichzeitig aber brachte er die junge Schauspielerin Marie Frey von Wien nach Prag, mit der sich H. einen Teil des Repertoires teilen musste. Mit ihrer veränderten Stellung hing wahrscheinlich auch zusammen, dass sie nach dem 20. Januar 1836 in drei Vorstellungen beim Wiener Burgtheater auftrat, um engagiert zu werden (Sophie, die Regentin von Russland, Raupach: Die Fürsten Chawansky, Gräfin Orsino, Lessing: Emilia Galotti, Madame Müller, Kotzebue: Menschenhass und Reue), doch trotz der guten Kritiken hatte sie das Engagement nicht erreicht. Wie Teuber anführt (III., S. 216), beschwerte sich H. in diesem Jahr bei der Prager Theateraufsichtskommission, Direktor Stöger zwinge sie, auch untergeordnete Rollen in Lustspielen anzunehmen.  

Im Jahre 1840 erhielt H. in Prag das Heimatrecht. 1842 genehmigte ihr die Direktion einen längeren Urlaub (Das Almanach für Freunde der Schauspielkunst auf das Jahr 1843, S. 231: „beurlaubt“). Am 30. Mai 1852 wurde auf ihr Gesuch hin ein Heimatschein ausgestellt und die Erlaubnis zu einem vierjährigen Aufenthalt in Brünn erteilt. Sie erhielt ein Engagement bei Direktor Anton Balvanský, doch es scheint, als habe sie es nur eine Saison, 1852/53, genutzt und sei dann nach Prag zurückgekehrt. Nach fünfundzwanzigjähriger Mitgliedschaft im Pensionsverein des Ständetheaters erfüllt H. am 1. 4. 1854 die festgelegten Bedingungen und bezog eine Pension. Sie unterrichtete bereits ab 1853 Deklamation am Prager Konservatorium, wo sie diesen Lehrauftrag von ihrer Theaterkollegin Marie Frey übernommen hat. Aus gesundheitlichen Gründen gab sie ihre pädagogische Tätigkeit im Mai 1866 auf, ihre Klasse übernahm der Schauspieler des Ständetheaters Volkmar Kühns. Letztmalig gastierte sie am Ständetheater in fünf Vorstellungen im Juli und August 1857. Der Nekrolog führt an, kurz vor ihrem Tod sei sie noch einmal im Prager Nikolaus-Laientheater für wohltätige Zwecke aufgetreten.

H. beteiligte sich nicht an tschechischen Vorstellungen. In einem tschechisch gespielten Stück trat sie nur in der stummen Rolle der Waise Viktorin auf (Castelli: Der Waise und der Mörder, in Prag deutsch ab 1817, tschechische Prem. 21. 3. 1830 in einer Übersetzung von J. N. Štěpánek). Auch in einer Oper spielte sie nur die stumme Rolle der Fenella (Auber: Die Stumme von Portici, Prem. 20. 6. 1829), und zwar in Reprisen ab 1830, nachdem die ursprüngliche Darstellerin Marianne Ernst-Seidler Prag verlassen hatte. Für diese Rolle erhielt H. ein Sonderhonorar von 200 Gulden, ihre pantomimische Leistung wurde allseits bewundert.

Die Charakteristik ihrer Schauspielkunst, die Anton Müller am 28. Oktober 1834 in der Bohemia veröffentlichte, hebt ihre schauspielerische Vielfalt hervor. Er setzt sie mit einer hervorragenden schauspielerischen Ausbildung in der Jugend in Zusammenhang, die es ihr ermöglicht habe, die Rollen zu durchdenken und sich nicht auf Inspiration zu verlassen. Ihre Stimme war nicht auffällig stark und hatte keine markante Färbung, doch gerade das Ausfeilen der Details und die sorgfältige Vorbereitung ermöglichten es ihr, große Effekte mit bescheidenen Mitteln zu schaffen. Die Theaterausbildung schlug sich nach Müllers Ansicht auch in ihren geschmackvollen Kostümen nieder, die – vor allem in den zeitgenössischen Stücken – als Vorbild gedient haben können. Sie begann mit Rollen von naiven, sentimentalen Geliebten. Im Jahre 1834 spielte sie nach Angaben von Müller (mit Ausnahme von heldenhaften oder führenden weiblichen Typen) Rollen fast aller Fächer, doch sie zeichnete sich vor allem in denen aus, „deren Laune sich mit einer auf das Gemüth bezüglichen Ueberlegenheit des Verstandes offenbart“. Sehr gut spielte sie Intrigantinnen, aber auch Lustspielgestalten (eine der besten war ihre Donna Dianna). Nach 1834 musste sich H. schrittweise auf Heldinnen, Mütter und auf Frauen mittleren Alters in Konversationsstücken (Anstandsdame) konzentrieren. Die Heldengestalten und Konversationsrollen charakterisierten ihr Repertoire im letzten Jahrzehnt.

Sie versuchte sich auch am Dramenschaffen und schrieb zwei Stücke mit weiblichen Heldinnen. Beide wurden (ohne Erfolg und ohne Reprisen) im Ständetheater aufgeführt. Littegarda (1839) nach einer Erzählung von Heinrich Kleist ist eine Kriminalgeschichte über den Mord an einem bedeutenden Adeligen und der Suche nach seinem Mörder auf der Basis eines einzelnen Pfeils. Der Plot basiert auf der Verwechslung einiger Personen, und die Geschichte klärt sich glücklich auf. Das zweite Stück Sylva (1849) ist die dramatische Geschichte einer Schauspielerin in Madrid, in der Marie Frey die Titelrolle spielte und H. die ältere Figur der Königin verkörperte.

Weitere Rollen (Auswahl)

1829–1833: Bibiana (Cuno: Räuber auf Maria Kulm); Erny (Grillparzer: Der treue Diener seines Herrn); Marie (Raupach: Müller und sein Kind); Emma (Raupach: Schuld und Busse); Donna Diana (West nach Moret: Donna Diana); Maria Wallenfeld (Iffland: Spieler]; Sophie, Regentin von Russland:Die Fürsten Chawansky; Gretchen (Goethe: Faust); Marie Beaumarchais (Goethe: Clavigo); Emilia Galotti, später Gräfin Orsina (Lessing:Emilia Galotti); Ophelie, später Königin Gertrude (Shakespeare:Hamlet); Eboli (Schiller: Don Carlos); Miss Müllner (Raupach:Vormund und Mündel). – 1834–1846: Griseldis (Halm: Griseldis); Wlasta (Wenzig: Wlastadramatisches Gedicht, Prem. 12. 12. 1836); Aktäa (Halm: Sohn der Wildnis); Vanina Ornano (Halm: Sampiero); Desdemona (Shakespeare: Othello); Sebastian und Viola, Doppelrolle (Shakespeare – Deinhardstein: Viola [Was ihr wollt], Prager Prem. 24. 1. 1840); Isabella (Schiller: Die Braut von Messina); Clärchen, später Margarethe von Parma (Goethe: Egmont); Johanna d’Arc (Schiller: Jungfrau von Orleans); Julie (Gutzkow: Werner oder Herz und Welt); Kurfürstin Sibylle (Prutz: Moritz von Sachsen).
Gastspiele im Juli und August 1857 im Ständetheater in Prag:
 Herzogin von Marborlough (Cosmar nach Scribo: Das Glas Wasser); Gertrude (Shakespeare: Hamlet); Marquise Pompadour (Goethe: Faust); Die alte Fadet (Birch-Pfeiffer: Die Grille), Margarethe (Shakespeare: König Richard III.).

Theatralia (eigene Texte H.s)

Littegarda, ein romantisches Drama in 4 Aufzügen nach Heinrich von Kleist. Nach Kleists Erzählung Der Zweikampf (1811), Prem. 22. 2. 1839 im Ständetheater, Rez. Und Inhalt Bohemia, ein Unterhaltungsblatt, 24. a 26. 2. 1839. – Sylva, Prem. 24. 4. 1849 im Ständetheater, Rez. und Inhalt Bohemia 26. und 28. 4. 1849.

Quellen

Nationalarchiv, Polizeidirektion I, Konskription, Karton 174, Abb. 66 und 67 (hier angeführt, dass sie am 23. 6. starb). – Archiv hl. města Prahy, Karton 89, Aufnahms-Bogen vom Jahre 1840, hier angeführt, dass sie am 22. 6. starb. – Sog. Martinec-Verzeichnis: Journal aller auf der k. ständischen Bühne zu Prag aufgeführten Trauer– Schau – Lustspiele, Opern, Possen, Ballets, Concerte und sonstige Produktionen vom 16ten Juli 1815 bis 30ten April 1834, Bd. 1, Archiv hl. města Prahy, Handschriften. – Die Nekrologe erwähnen ihre Tochter, verheiratet mit dem Leibarzt des sächsischen Herzogs Georg in Dresden. Der Arzt des Herzogs, Dr. Gustav Albert Carus, heiratete, wie aus anderen Quellen hervorgeht, am 1. 11. 1849 Lina (Karolina) Herbst, die 1905 starb. Die Tochter wird in keinem amtlichen Prager Dokument erwähnt.

Periodika

Referate über Vorstellungen: Unterhaltungsblätter [später Bohemia, Prag] 1828 und 1829; Bohemia, oder Unterhaltungsblätter für gebildete Stände 1830–1832 (31. 7. 1831 Donna Diana); Bohemia, ein Unterhaltungsblatt 1832–1845 (28. 10. 1834 Charakteristik von H.s Schauspieltyp von Anton Müller, 24. 6. 1866 Nekrolog). – Allgemeiner deutscher Theateralmanach für das Jahr 1822, Berlin, S. 454. – Taschenbuch für Schauspieler und Schauspielfreunde auf das Jahr 1823, Wien, S. 327. – Almanach für Freunde der Schauspielkunst, 1853, Register, Jg. 18, S. 1854, S. 103 (Weggang aus Brno).

Literatur

Teuber III. (mit Geburtsdatum 1803), S. 143, 144, 145, 158–159 (hier weitere Lit. zur familiären Herkunft), 161, 173, 188, 206, 209, 216-217, 230, 231, 235, 236, 237, 397, 409, 516

J. Branberger: Konservatoř hudby v Praze [Konservatorium für Musik in Prag], 1911, S. 92

J. Vondráček: Dějiny českého divadla. Doba předbřeznová 1824–1846 [Geschichte des böhmischen Theaters. Die Vormärzzeit 18241846], Praha 1957, S. 14, 54, 63, 65, 128, 130, 190, 193

Eisenberg, Flüggen, NDp, Kosch Th, NDp, Ulrich


Bildung: 31.07.2013

Autor: Ludvová, Jitka