Die Schauspielerin und Theaterdirektorin Wilhelmine Fink wirkte ab der 2. Hälfte der 80-er Jahre des 19. Jahrhunderts bis Mitte der 20-er Jahre des 20. Jahrhunderts mit ihrer Theatergesellschaft insbesondere auf dem Territorium Mährens, Schlesiens und eines Teils von Ostböhmen. Sie betrieb eine lokale Gesellschaft und bevorzugte vor allem vergnügliches Repertoire. Ab dem Ende der 90-er Jahre des 19. Jahrhunderts führte sie auch Operetten auf.
Geborene Hertz Sie war das uneheliche Kind der Tochter eines Geschäftsmannes in Brieg (Brzeg) in der Wojewodschaft Opole, F.s Vater soll der Kassenwart eines nicht näher bezeichneten städtischen Theaters gewesen sein. Bereits von Kindesbeinen an widmete sich F. dem Theater, ab der 2. Hälfte der 70-er Jahre spielte sie in verschiedenen Theatergesellschaften (Männel, Treu, Lackner u. a.) in Mähren, Schlesien und Böhmen. Damals war sie schon mit dem Schauspieler Johann Fink verheiratet, der die Genehmigung für ein selbstständiges Theaterunternehmen erhalten hatte und in der Saison 1884/85 eine Gesellschaft in Šumperk leitete. Kurz darauf starb er jedoch, und F. übernahm die Leitung der Theatergesellschaft. Die folgenden vierzig Jahre spielte sie überwiegend auf dem Territorium Mährens, Schlesiens und in einem Teil Ostböhmens. Mit 73 Jahren starb sie im Krankenhaus in Šternberk. Die Theatergesellschaft wurde von E. Kränzl übernommen, diese stand unter der künstlerischen Leitung von T. Weiß.
Aus der Ehe mit dem Schauspieler und Regisseur Johann Fink gingen zwei Kinder hervor, der Sohn Hans und die Tochter Agnes. Hans trat in Kinderrollen in der Gesellschaft der Mutter auf (1889−94), später wurde er Ingenieur und arbeitete als Vermessungsrat in Linz. Ihre Tochter Agnes war Schauspielerin, sie heiratete den Schauspieler und Regisseur J. Weyrich und wirkte im Stadttheater in Salzburg.
In den ersten Jahren des selbstständigen Theaterbetriebes wirkte F.s Theatergesellschaft in Šumperk, Šternberk (1886/87) und in Svitavy (1885), an diese Orte kehrte sie regelmäßig wieder zurück. In den Wintersaisons 1887/88 und 1888/89 betrieb F. beide Theater gleichzeitig (Vereinigte Theater), wobei sie zuerst in Šternberk und von Februar bis zum Palmsonntag in Šumperk spielte, die im Sommer hielt sich die Gesellschaft im Kurbad Jeseník und in der Stadt Jeseník (1887, 1890) auf. Die ersten dreizehn Jahre war P. Müller künstlerischer Leiter und Regisseur, F. verwaltete die Gesellschaft überwiegend betriebstechnisch und finanziell. Die gesamte Zeit über hatte das Schauspielensemble bis zu zwanzig Mitgliedern. Für musikalische Einstudierungen nutzte man die städtischen Kapellen oder die Kurbadkapellen vor Ort. Am Beginn des letzten Jahrzehnts des 19. Jahrhunderts wirkte die Gesellschaft drei Saisons hintereinander im städtischen Theater in Krnov (1891−94), von wo aus sie regelmäßig nach Bruntál reiste. Dreh- und Angelpunkt der Theaterstationen wurde später Šumperk, von da aus reiste die Gesellschaft an weitere Orte in Mähren: nach Rýmařov (1894/95), Hranice (1895/96), Moravská Třebová und Uničov (1897/98) oder nach Schlesien: Jeseník und Javorník (1898/99). Ab der Saison 1899/1900 wurde F. Ritter von Gyra Geschäftsführer der Gesellschaft, der hier spielte und bereits in der Saison davor Regie geführt hatte. 1901/02 löste ihn in dieser Position A. Arthur ab.
F. beantragte eine Spielgenehmigung auch für das Territorium Böhmens. Im Januar 1895 erhielt sie die Erlaubnis, bis Palmsonntag in Český Krumlov zu spielen, im Juni 1899 dann zwei Monate in Králíky, und im Oktober 1899 erhielt sie die Erlaubnis, vierzig Vorstellungen in Lanškroun zu geben. Die Wintersaison 1899/1900 richtete sie auf Rýmařov und Jeseník aus, von Rýmařov beantragte sie eine Konzession für Gesamtböhmen, allerdings erfolglos. In der anschließenden Wintersaison 1900/01 wirkte sie in Bruntál. Das Bemühen der Gesellschaft einen Broterwerb zu verschaffen, führte zu einem häufigen Spielortwechsel in der Saison 1901/02, wo man im Winter in Uničov, Šumperk und Lanškroun und im Sommer im Kurbad Velké Losiny spielte. Die anschließende Wintersaison, vom 1. Oktober 1902 bis Anfang April 1903, spielte die Gesellschaft in Šternberk, im Januar 1903 tauchte sie in Prostějov auf und nach Ende der Saison noch einmal in Šumperk und in Svitavy. Für die Wintersaison 1903/04 kehrte die Gesellschaft nach Šternberk zurück. In den folgenden Jahren unternahm sie auch viele kurze, mehrwöchige Tourneen auf dem Gebiet des heutigen Ostrava, in Přívoz (Frühjahr 1905) oder Vítkovice (Ende April 1905). 1906−07 spielte sie dann in Orlová, Doubrava und Karviná, wo F. Probleme mit der Aufführung unangemeldeter Theatervorstellungen auf der Basis eines Berichts eines Wachtmeisters vor Ort zu den angeklebten Plakaten hatte.
In den Wintersaisons fand F. wiederum Zuflucht vor allem in Šumperk (1908−10, 1912/13) und in Šternberk (1910/11). Im Sommer spielte sie überwiegend in Gemeinden, die um ihre Winterwirkungsstätte herum lagen, ebenso 1912, als ihre Gesellschaft im Kreis Šumperk in Sälen in Libina und Nový Malínov auftrat. Ab 1911 wurde E. Kränzl Geschäftsführer der Gesellschaft, er war gleichzeitig Kodirektor. In der Zeit des ersten Weltkriegs kehrte F.s für drei Wintersaisons an das Theater in Krnov zurück (1914−17). In der Saison 1914/15 gastierten bei der Gesellschaft die bekannten Schauspielerinnen A. Sandrock, F. Lanius oder der Schauspieler, Dichter und Dramatiker E. Adam. Im Sommer 1915 spielte das Ensemble dann in Vrbno pod Pradědem, Nový Jičín mit Abstechern nach Rýmařov und Bruntál. In Bruntál wirkte das Ensemble erneut 1920, im Laufe des August und des September 1921 traten die Mitglieder im Hirschensaal, auch als Arbeiterheim bezeichnet, auf, wo sie unter der Bezeichnung Volkstheater spielten. Die letzten Jahre verbrachte die Gesellschaft dann schon an ihren bekannten Wirkungsstätten in Šumperk (1919−20), Moravská Třebová (1922), Svitavy (1923) und in Šternberk (1916, 1922−24), wo die Theater- und Lebensbahn von F. ihr Ende fand.
Das Repertoire der Gesellschaft war konservativ, es ging überwiegend von bewährten Titeln mit vergnüglichem Charakter aus (Possen, Volksstücke mit Gesang, später Operette). Zu den oft aufgeführten Autoren gehörten F. Grillparzer, E. Raupach, P. Lindau, L. Anzengruber u. a. Während ihres Aufenthaltes in größeren Städten (mit einer Bevölkerungszahl von etwa zehn- bis fünfzehntausend Einwohnern) führte die Gesellschaft auch anspruchsvollere Titel auf, und zwar vor allem in Šumperk, wo sich ab dem Ende des 19. Jahrhunderts ein reger Theaterbetrieb herausbildete. Was das klassische Schauspiel betrifft, so handelte es sich beispielsweise um Schillers Räuber in der Regie von F. Beck, Kabale und Liebe F. als Frau Miller) oder Shakespeares Tragödie Othello der Mohr von Venedig in der Regie von F. Kaufmann. Während des zweiten Wirkens in Krnov führte das Ensemble unter anderem auch das naturalistische Drama von G. Zapolska Moral der Frau Dulska auf. Neuheiten gab es insbesondere bei Operetten: so zum Beispiel spielte im Jahr der ersten deutschsprachigen Aufführung von Kálmáns Operette Ein Herbstmanöver im Theater an der Wien (22. 1. 1909) F.s Gesellschaft diesen Titel bereits im Herbst in Šumperk.
F. spielte zuerst niedliche Naive und arbeitete sich schrittweise zu Rollen von Salondamen vor, die sie Anfang der neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts noch um Gardedamen erweiterte. Später verkörperte sie Figuren von Müttern, Tanten und Großmüttern. Im fortgeschrittenen Alter spielte sie kleine Rollen von Helferinnen, Wirtinnen u. a. Sie war eine beliebte Schauspielerin und Komikerin, die zumeist nur in kleinen Operettenrollen auftrat. Auf der Bühne spielte sie mehr als fünfzig Jahre – bis zu den letzten Augenblicken ihres Lebens.
Wenngleich die Theatergesellschaft F.s nicht zu den großen und bedeutenden gehörte, beteiligte sie sich mehr als vierzig Jahre lang am Theaterleben in Schlesien und in Nordmähren. F. gelang es, ihre deutschsprachige Gesellschaft auch in der nicht leichten Zeit des Ersten Weltkriegs und in den ersten Jahren des eigenständigen Tschechoslowakischen Staates aufrechtzuerhalten.
Rollen
Charlotte Schmerle (R. Kneisel: Schmerle´s Geheimnis) − 1892; Ahnfrau (F. Grillparzer: Die Ahnfrau), Justine (F. G. Triesch: Die Nixe), Albertine (A. LʼAronge: Hasemanns Töchter), Hermine (F. Schönthan: Die goldene Spinne) − 1902; Paula Hartwig (F. v. Schönthan − G. Kadelburg: Die berühmte Frau) − 1906; Sofie (E. Norim − S. Wimmer: Der Blitzableiter), Frau von Lynahr (R. Voß: Zwischen zwei Herzen), Elsa von Attnang (B. Buchbinder: Sie und ihr Mann), Marquise von Beaulieu (G. Ohnet: Die Hüttenbehtzer), Fürstin Henriette (H. Hersch: Die Anna Liese oder Ein Bürgerskind auf deutschem Fürstenthron), Schulzin (E. Raupach: Der Müller und sein Kind) − 1908; Minna Molheim (P. Lindau: Die beide Leonoren), Marqueritte (R. Planquette: Die Glocken von Corneville), Donna Merindes (P. Lindau: Galeotto), Veronika Neßmüller (J. Willhardt: Der Goldmensch von Wien), Adele, Gräfin von Dommertin (F. Halm: Wildfeuer), Frau von Bergen (E. Kálmán: Ein Herbstmanöver), Martha (J. Willhardt: Die Annenruhe), Cäzilie (L. Fulda: Das verlorene Paradies), Frau Miller (F. Schiller: Kabale und Liebe), Amalie (H. Sudermann: Die Ehre), Marie (V. Léon: Gebildete Menschen), Charlotte (O. Blumenthal, G. Kadelburg: Im weissen Rössel), Urarca (E. Raupach: Die Königstochter als Bettlerin oder Schule des Legend), Rosamunde (A. Berla, Musik C. Millöcker: Das verwunschene Schloss), Gräfin Leonore von Raudenstein (E. Hildebrand, J. Keller: Der Trompeter von Säkkingen), Babette (M. West, L. Held, Musik C. Zeller: Der Obersteiger) − 1909; Gräfin Leontine von Steinberg (A. Oppenheim: Die Diamantenkönigin), Frau Vogelreuter (H. Sudermann: Johannisfeuer, Rüder (W. Meyer-Förster: Alt-Heidelberg), Beate Frohman (J. A. Wilhart: Marilene die schöne Förstersbraut oder Das schwarze Kreuz am Wildsee) − 1910.
Quellen
ZA Opava: Matrikelsammlung, Sterbematrikel, I−Z, Inv.-Nr. 10636, Sign. Št I 52, 1918−1932 Šternberk (Mutter Rosalie, Großvater Sigmund Hertz). Siehe auch [online, zit. 21.8.2017], URL: http://vademecum.archives.cz/vademecum/permalink?xid=dd4acd7737c68136:35b157ca:120f9b45c5a:-73bf&scan=392 (Mutter Rosalie, Großvater Sigmund Hertz); Fonds Polizeidirektion Moravská Ostrava − Präsidialschriften 1895−1918, Inv.-Nr. 3947, Sign. 3579, Karton 119 (Antrag und Genehmigung für Theatervorstellungen ab dem 18.3.1905 in Přívoz und ab dem 23.4.1905 in Vítkovice, hier auch Wohltätigkeitsveranstaltungen), ebenda Inv.-Nr. 5338, Sign. 11267, Karton 131 (Vorstellungen in Orlová, Doubrava und Karviná in den Jahren 1906−07, strafrechtliche Verfolgung wegen nicht erfolgter Meldung der aufzuführenden Stücke, Verhörprotokolle der W. F., Theaterzettel von einer Vorstellung in Karviná am 12.3.1906); Fonds Schlesische Landesregierung in Opava (1747) 1850−1928, Inv.-Nr. 2409, Sign. XIII/121, Karton 5144 (Genehmigung aus dem Jahre 1920 zur Aufführung der Stücke Sie hat keinen Geliebten und NRO. 69).
SOA Šumperk: Fonds Archiv der Gemeinde Nový Malín 1656−1945, Inv.-Nr. 322, Karton 33 (Genehmigung für die Sommersaison 1912).
Heimatkundliches Museum Šumperk: Gruppe Schriftstücke, Untergruppe Plakate, Inv.-Nr. H 9 857−H 10 003 (Theaterzettel der Gesellschaft von den Vorstellungen in Šumperk Februar − März 1902, Oktober 1908 − Januar 1909, September 1909 − Januar 1910, März 1910).
Literatur
Deutscher Bühnen-Almanach (Berlin) 1885, T. 2, S. 282; 1887, T. 2, S. 423−424; 1888, T. 2, S. 455−456; 1889, T. 2, S. 459−460; 1890, T. 2, S. 488−489; 1891, T. 2, S. 634−635; 1892, T. 2, S. 298−299; 1893, T. 2, S. 419; Neuer Theater-Almanach (Berlin) 1892, T. 2, S. 315−316; 1893, T. 2, S. 349−350; 1894, T. 2, S. 410; 1895, T. 2, S. 439; 1896, T. 2, S. 484−485; 1898, T. 2, S. 445−446; 1899, T. 2, S. 563; 1900, T. 2, S. 498; 1901, T. 2, S. 345−346; 1902, T. 2, S. 434−435; 1903, T. 2, S. 518−519; 1915, T. 2, S. 456, 800−801; Todesfall, Deutsches Volksblatt für Mähren und Schlesien (Šternberk) 48, 1924, Nr. 4, S. 4 + Vom Theater, ebenda, Nr. 4, S. 5−6 + Todesfälle, ebenda, Nr. 5, S. 3; Salzburger Chronik 31. 1. 1924 (Nekrolog, Wirkungsstätte der Tochter); J. Hilmera: Činnost německých divadelních společností v českých provinciích 19. století [Die Tätigkeit der deutschen Theatergesellschaften in der böhmischen Provinz des 19. Jahrhunderts], Praha 2006, DÚk, CD 307, S. 319, 777; M. Havlíčková – S. Pracná – J. Štefanides: Německojazyčné divadlo na Moravě a ve Slezsku 1/3 [Das deutschsprachige Theater in Mähren und in Schlesien 1/3], Olomouc 2013, S. 30, 102; M. Havlíčková – S. Pracná – J. Štefanides: Německojazyčné divadlo na Moravě a ve Slezsku 2/3 [Das deutschsprachige Theater in Mähren und in Schlesien 2/3], Olomouc 2013, S. 217, 218, 226, 227, 240; M. Havlíčková – S. Pracná – J. Štefanides: Německojazyčné divadlo na Moravě a ve Slezsku 3/3 [Das deutschsprachige Theater in Mähren und in Schlesien 3/3], Olomouc 2014, s. 113, 114, 118, 166, 177−179, 189, 198, 202, 206, 220, 221, 226, 237, 238, 241, 242, 250, 254, 255, 288.
Bildung: 2017