Thiel, Wilhelm

Wilhelm
Thiel
1800
nach 1857
Brno (?)
Schauspieler, Regisseur, Dramatiker, Theaterdirektor, Betreiber einer Theatergesellschaft

Schauspieler und später Theaterdirektor, steht vor allem mit dem Brünner Stadttheater in Verbindung. Während seiner Leitung (1837–1843) wurden regelmäßige Vorstellungen in tschechischer Sprache eingeführt, vor allem die Oper erlebte einen Aufschwung. Aufgrund der finanziellen Verlustprojekte Sommerbühnen war T. gezwungen, Brno zu verlassen und seine Theaterkarriere als Inhaber einer fahrenden Gesellschaft zu beenden. Ebenfalls Autor romantischer Stücke und von Lokalstücken.

Geschrieben auch Thiele. Über seine Herkunft ist nichts bekannt, zum ersten Mal tauchte er bei der Theatergesellschaft von C. H. Butenop in Schlesien auf (1820–22), wo er auch seine Frau, die Schauspielerin Agnes Zimmermann kennenlernte (Heirat 1821). Das Ehepaar war dann im Stadttheater in Brno 1823/24 engagiert. Im Sommer 1824 spielte T. im Theater an der Wien; die Kritik wurde auf ihn aufmerksam und wertschätzte sein Talent. Für die Wintersaison 1824/25 war er am Burgtheater engagiert, hier spielte er kleinere Rollen (Diner u. a.). Zusammen mit seiner Frau ging er 1826 nach Graz, anschließend kehrten beide nach Brno zurück, wo sie bis 1832 auftraten. In der Saison 1832/33 war T. Direktor des Theaters in Znojmo. 1833 wurde er am sächsischen königlichen Theater für das Rollenfach komische Rollen und Naturburschen engagiert. Nach Ostern 1837 wurde ihm der Betrieb des städtischen Theaters in Brno für sechs Jahre anvertraut. Ebenso wie weitere Bewerber besaß er kein Vermögen, doch als „Sächsischer Hoffschauspieler“ erfreute er sich eines guten Rufs, und nicht zuletzt kannte er das Brünner Gefilde gut. Als Direktor mangelte es ihm nicht an Fleiß und unternehmerischem Geist, darüber hinaus war er für seinen freundschaftlichen Charakter und seine gesellschaftliche Gewandtheit bekannt. Zuerst führte er Monatsabonnements ein, was ihm eine gewisse finanzielle Basis für weitere Schritte verschaffte. Auch setzte er regelmäßige Vorstellungen in tschechischer Sprache auf den Spielplan. Diese gab es vorher nur sporadisch, unter T.s Leitung häufiger ab Februar 1838, ab Juli regelmäßig am Montagabend. Die tschechischen Vorstellungen hatten Erfolg, und das Mährische Landesgubernium erlaubte ihm per Erlass vom 13. 9. 1838 die Vorstellungen zu einer günstigeren Zeit – am Sonntagnachmittag. Unter T.s Leitung kam es auch zu einer Modernisierung des Theatergebäudes auf dem Grünen Markt. Gleich 1837 erhielt er die Genehmigung, die Logen im Theater umzubauen und zu vergrößern, im Folgejahr wurde eine Heißluftheizung installiert. Was das Künstlerische betraf, so versuchte T., das Brünner Provinztheater zu einer Bühne umzugestalten, die modernes Repertoire in einer Starbesetzung aufführte. Er bemühte sich, an nähere Kontakte zu Theatern in Lwow, Prag, Linz und Graz anzuknüpfen, doch die von den gastierenden Schauspielern verlangten Gagen erwiesen sich als Hindernis für eine regelmäßige Zusammenarbeit. Bezüglich des Repertoires bevorzugte T. die Oper, er führte insbesondere Neuheiten aus der damaligen Zeit auf. Die erste Oper in T.s Einstudierung war Adams Postillon von Lonjumeau (Prem. 4. 10. 1837). Oft brachte er große Opern von Donizetti (Liebestrank, Prem. 30. 10. 1837, Belisar 5. 7. 1838 und Lucretia Borgia 15. 4. 1843), Bellini (Norma und Die Puritaner) und Meyerbeer (Die Hugenotten 14. 12. 1839) zur Aufführung. Das religiöse Motiv Die Hugenotten und die Ansiedlung der Handlung in Frankreich sah die Zensur jedoch als problematisch an. Die Handlung wurde deshalb in Italien verortet und unter der Bezeichnung Ghibellinen von Pisa aufgeführt. Von Opernwerken lokalen Charakters wurde Hamlet von M. Maretzek, aus Brno gebürtig, aufgeführt (die Aufführung am 4. 11. 1840 ist belegt). Kapellmeister des Theaters war bis 1841 J. Hnojil, den jedoch kurze Zeit später der Komponist G. Schmidt ablöste, früher Hofkapellmeister des Theaters in Darmstadt. Zu den Stars des Opernensembles gehörten K. Thomaselli, der Tenorist V. Bělčický oder der Baritonist J. B. Pišek. Den Kern des Schauspielrepertoires bildeten vor allem die Lustspiele von Raupach, Grillparzer und Scribe, Tragödien wurde nicht besonders oft aufgeführt. Von den Possen spielte er vor allem Nestroy (Einen Jux will er sich machen, 1842), J. H. Schick und F. Hopp. Mitglied des Schauspielensembles war beispielsweise der künftige Direktor des Brünner Theaters A. Balvansky, die tschechischen Vorstellungen organisierte der Schauspieler K. Ruber, sonst auch Autor des Brünner Theateralmanachs. Die vielen positiven Reaktionen in der Wiener Presse zeigen, dass während T.s Leitung die Brünner Oper und auch das Schauspiel auf ein hohes künstlerisches Niveau gehoben wurden (insb. Zeitschrift Humorist).

Trotz offensichtlicher und künstlerischer Erfolge hatte T. von Anfang an mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen, die im Laufe der Zeit immer gravierender wurden. Wegen des fehlenden Grundkapitals beantragte er bereits im Juli 1837 einen Aufschub der ersten Rate der Pacht aufgrund hoher anfänglicher Ausgaben. Auch wenn oft auch ungünstige Umstände schuld waren, verhielt sich T. oft leichtsinnig und strapazierte seine finanziellen Möglichkeiten über, wie edel diese auch gewesen sein mochten. So sollten beispielsweise aus dem Erlös einer Januarvorstellung 1841 Holz für Arme und durch den Winter Leidende bezahlt werden; wegen eines Schneegestöbers aber waren die Besucherzahlen miserabel. Im selben Jahr erhielt T. die Erlaubnis, eine Sommerbühne in der Nähe des öffentlichen Bades im Brünner Stadtteil Pisárky (Schreibwald) einzurichten. Die Naturbühne war sehr malerisch, mit vielen Bäumen und Altanen, doch die Anfangsvorstellung wurde von Regen verdorben, das schlechte Wetter begleitete die Bühne den gesamten Sommer über. Somit waren die Besucherzahlen niedrig, auch weil die Bühne weit abgelegen von der Stadt war. Wegen deutlicher finanzieller Verluste musste T. den Gedanken an den Betrieb eines Theaters in Pisárky aufgeben. Die letzte Vorstellung wurde am 3. 10. 1841 gespielt, als F. Balls Stück Die Räuber am Füße des Ätna zur Aufführung kam, das beim Publikum Anklang fand, wahrscheinlich wegen der vielen pyrotechnischen Effekte. Im April 1842 erhielt T.  die Genehmigung, eine neue Sommerbühne auf einer Wiese zwischen der ersten und zweiten Allee des Stadtparks in Lužánky (Augarten) zu errichten. Doch auch dieses Unternehmen konnte T.s finanzielle Situation nicht verbessern, das Theater erlebte die Eröffnung der nächsten Sommersaison nicht (aufgelöst zu Ostern 1843). Der Direktor schob ständig die Begleichung der Schulden auf, und die Stadt verlor die Geduld. Als T. im Dezember 1842 beim Magistrat die Verlängerung des Pachtvertrages für das Theater bis 1849 beantragte, wurde seinem Antrag nicht stattgegeben, und T. ging nach Ostern 1843 aus Brno fort. In der Saison 1847/48 hatte er das Theater in Těšín gepachtet, zehn Jahre später tauchte er als Direktor einer fahrenden Gesellschaft im österreichischen Stockerau auf, 1857 wird seine Gesellschaft in Vyškov gesehen. T. soll in einem Brünner Armenhaus gestorben sein.

Agnes geb. Zimmermann (geb. um 1800) war Schauspielerin. Zusammen mit ihrem Vater, dem Schauspieler Traugott Lebrecht Zimmermann spielte sie in der Gesellschaft von C. H. Butenop, wo sie ihren Mann kennenlernte. Zusammen mit ihm durchlief sie dann die Engagements in Brno und Graz, nach 1832 trat sie nicht mehr auf.

T.s Stücke wurden auf der Brünner Bühne vor allem in der Zeit seines zweiten Schauspielengagements aufgeführt. Zuerst spielte das Theater sein ländliches Stück Der Wittwer (1828), es folgte die Posse mit Musik Die falschen Künstler oder Der todte Student als Herkules, das am 9. 12. 1828 Premiere hatte und gleichzeitig T.s Benefizveranstaltung war. Ein weiteres Stück, Kaspar, der arme Findling, handelte von dem geheimnisvollen Wolfskind Kaspar Hauser, das damals noch lebte. Die damals populäre Geschichte resonierte mit den romantischen Stimmungen, und T. wählte für sie die entsprechende Form eines Melodrams. Es wurde am 10. 1. 1831 mit Musik von J. Hnojil aufgeführt, Benefiziatin war T.s Frau. Das patriotische Stück Der Sturz in die Macocha mit dem Vorspiel Die Höckebraut von Blansko thematisierte die lokale Sage von der Schlucht Macocha. Der Autor vereinte darin mehrere Motive, vermischt sind auch die Namen mährischer, tschechischer und deutscher Adeliger. Den Figuren zufolge handelte es sich eher um ein Ritterspiel, der Theaterzettel versprach eine „Theaterdarstellung vieler schrecklicher Ereignisse, die in diesem zauberhaften Reich der Natur mehrmals in außergewöhnlichen Situationen vorkommen“. Ein weiteres Lokalstück von T., Der Schreckenschuß auf Rabstein oder Nachtwandlerin, spielte sich eher in der Vorburg ab, wenn man von den Figuren des Kastellans, seiner Tochter, des Trommlers und Szenen aus einer dörflichen Schankstube ausgeht. Das romantische Stück mit Musik und Chören Die Brünner Bettler-Liessel oder Der Sturm auf Eichhorn nahm ihren Stoff aus der Brünner Geschichte des 15. Jahrhunderts. T. ging von der Novelle der Dichterin A. Franz aus, die die Geschichte eines Mädchens verarbeitete hatte, das zufällig in große geschichtliche Ereignisse eingreift. Die Musik stammte von J. Hnojil, um die Choreographie kümmerte sich J. Fenzl, und die Premiere am 5. 10. 1831 war gleichzeitig eine Benefizveranstaltung des Autors. Am Beginn von T.s Direktorat führte das Brünner Theater sein musikalisches Quodlibet Die Familie Fliedermüller auf. Auf andere Bühnen gelangten T.s Stücke eher sporadisch; Kaspar, der arme Findling wurde vom Theater in Klagenfurt unter dem Titel Kaspar Hauser, der arme Findling im Januar 1838 aufgeführt.

T. war in Brünn seinerzeit eine bekannte Persönlichkeit. Zuerst setzte er sich hier als Schauspieler durch, als Direktor des Stadttheaters erwies er sich als fähiger Organisator, und sein künstlerisches Programm war in vielen Dingen seiner Zeit voraus, trotzdem scheiterte er als Unternehmer. Als Dramatiker gilt T. als führender Verfechter der Romantik und gleichzeitig des Lokalstücks auf der Brünner Bühne. 

Rollen

Theater an der Wien, Wien
Franz (T. v. Körner: Vetter aus Bremen), Don Alonso (H. Clauren: Der Bräutigam aus Mexiko), Schwätzer (F. Schmidt nach d. Franz.: Nur er will sprechen) – 1824.


Burgtheater Wien

Johann (Centrivle: Er mengt sich in alles), Schreiber (H. Beck, Beil: Die Quälgeister, nach Shakespeare: Viel Lärm um Nichts), Kammerdiener (F. Schiller: Kabale und Liebe), Adjutant (F. Schiller: Wallenstein) Page (F. Schiller: Maria Stuart) Diener der Capulets (W. Shakespeare, Überarb. J. Schreyvogel: Romeo und Julia) Claude Marie (F. Schiller: Die Jungfrau von Orleans), Diener Cornwalls (W. Shakespeare, Überarb. J. Schreyvogel: König Lear), Offizier (Banks, Brooke, ins Dt. überarb. M. Collin: Essex) – 1824; Offizier (J. M. Babo: Die Strelitzen), Eginhard (H. Kleist: Das Käthchen von Heilbronn), Diener (Cibber, ins Dt. überarb. Vogel: Liebe zu Abenteuer und Abenteuer aus Liebe) – 1825.

Stadttheater, Graz

Fritz (A. Kotzebue: Der Straßenräuber als Kindesliebe), Justizrath Listar (A. W. Iffland: Dienstpflicht) – 1825.

Stadttheater, Brünn

Zawisch (F. Grillparzer: Königs Ottokar Glück und Ende) – 1827; Hanns Sachs (J. L. Deinhardstein: Hanns Sachs), [Rolle nicht angeführt] (W. Thiel: Die falschen Künstler oder Der todte Student als Herkules) – 1828; Philipp (W. A. Gerle: Abenteuer einer Neujahrsnacht) – 1830; [Rolle nicht angeführt] (W. Thiel: Die Brünner Bettler-Liessel oder Der Sturm auf Eichhorn) – 1831. 

Stücke

Der Witwer, ländliches Stück, Prem. Stadttheater Brünn 10. 12. 1828; Die falschen Künstler oder Der todte Student, ebenda 9. 12. 1828; Der Sturz in die Macocha, Stück in 4 Akten mit dem Vorspiel Die Höckebraut von Blansko, Prem. ebenda 11. 10. 1830; Kaspar, der arme Findling, Melodram in 3 Akten, Musik: J. Hnojil, Prem. ebenda 10. 1. 1831; Die Brünner Bettler-Liessel oder Der Sturm auf Eichhorn, romantisches komisches Stück mit Musik, Vorspiel Die Teufelsbrücke, Musik: J. Hnojil, Choreographie: J. Fenzl, ebenda  5. 10. 1831; Schildwache, Tod und Teufel, Posse, ebenda 27. 1. 1834; Die Familie Fliedermüller, musikalisches Quodlibet, ebenda 28. 3. 1837. 

Quellen

AMB: Fonds A1/22–1703, 49/38, Karton 304–305 (Vermietung des städtischen Theaters und des Saals in der Reduta an W. Thiel); Fonds A1/22–1682, 49/17, Karton 299 (Nachweis, Ergänzung und Abschreibungen des Theaterinventars).

Literatur

Brünner Zeitung der k. k. priv. Mähr. Lehenbank 8. 3. 1823 (erstes Engagement in Brünn), 9. 12. 1828, 10. 1. 1831; Wiener Theater-Zeitung (Bäuerles Theaterzeitung) 15. 6. 1824, 12. 1. 1828, 8. 4. 1837; Berliner musikalische Zeitung 1833, Nr. 85, S. 342; Almanach der deutschen Bühne, Frankfurt am Main 1835, S. 348; Allgemeine Theaterzeitung und Originalblatt für Kunst, Literatur, Musik, Mode und geselliges Leben 1837, Nr. 229, S. 935; ebenda Nr. 237; Almanach für Freunde der Schauspielkunst auf das Jahr 1836, Berlin 1837, s. 213 (Engagement am Dresdner Hoftheater); Klagenfurter Zeitung 28. 1. 1838; Österreichischer Theateralmanach aus das Jahr 1839, Wien, S. 23-25 (als Bibliothekar des Brünner Theaters wird Thiel junior angeführt, wahrscheinlich T.s Sohn); Der Wanderer im Gebiete der Kunst und Wissenschaft, Industrie und Gewerbe, Theater und Geselligkeit (Wien) 13. 5. 1840; Österreichisches Morgenblatt: Zeitschrift für Vaterland, Natur und Leben (Wien) 29. 2. 1840; Moravia: Ein Blatt zur Unterhaltung, zur Kunde des Vaterlandes, des gesellschaftlichen und industriellen Fortschrittes 7. 10. 1841; Der Humorist (Wien) 11. 1. 1841, 28. 11. 1859; A. Rille: Die Geschichte des Brünner Stadt-Theaters 17341884, Brünn 1885, s. 131–139; G. Bondi: Geschichte des Brünner deutschen Theaters 1600–1925, Brünn 1924, s. 14; A. Vrbka: Gedenkbuch der Stadt Znaim 12261926, Nikolsburg 1927. S. 315; M. Alth: Burgtheater 1776 – 1976. Aufführungen und Besetzungen von zweihundert Jahren, 2 Teile, Wien 1979 (Repertoire W. Thiels im Burgtheater, siehe Register im 2. Teil); J. Trojan: Opera v Brně v první polovině 19. století [Die Oper in Brno in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts], in Opus musicum 27, 1995, S. 133–134; J. Trojan: Lokální hry ve staré brněnské Redutě na náměty z his­torie a lidových pověstí [Lokalstücke in der Altbrünner Reduta auf Sujets aus der Geschichte und aus volkstümlichen Sagen], in Vlastivědný věstník morav­ský 53, 2001, S. 346; M. Havlíčková – S. Pracná – J. Štefanides: Německojazyčné divadlo na Moravě a ve Slezsku 1/3. Ředitelé městských divadel [Das deutschsprachige Theater in Mähren und in Schlesien 1/3. Direktoren städtischer Theater], Olomouc 2011, S. 212.

Herloss – Markgraff (in: Brünn, T. 2., S. 51), Kosch Th (auch Stichwort Zimmermann Agnes); Wurmová


Bildung: 2017

Autor: Škrobánková, KláraZemanová, Berenika