Schwestka, Karl

Karl
Schwestka
1803
Prag
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Eigentümer eines Privattheaters in Prag

Betreiber des Nikolaus-Theaters, bekannt auch als Švestka-Theater (1816 – 1880). Es wurde in der Bibliothek des aufgelösten Klosters zu St. Niklas eingerichtet, und man spielte hier überwiegend deutsch. Das Theater avancierte zu einem führenden Laientheater Prags. Hier begannen beispielsweise Josef Chauer, Jan Nepomuk Škroup, Anna Manetínská, Pavel Švanda von Semčice oder Gustav Löwe ihre Laufbahn. Ab Mitte der 50-er Jahre übernahm die Leitung des Theaters sein Sohn Karl Eduard Schwestka (1824 – 1887).

Das St. Niklas-Theater bestand von 1816 bis 1880 in der Bibliothek des ehemaligen Benediktinerklosters St. Nikolaus auf dem Prager Altstädter Ring (Konskriptionsnummer 24). Das Kloster war Teil eines größeren Gebäudekomplexes auf dem so genannten Hühnermarkt / Kurní trh in der damaligen St. Niklas-Gasse (heute Pařížská); zu ihm gehörten die Kirche und die Prälatur, die unter Vít Václav Kaňka begonnen (1727–1730) und von Kilian Ignaz Dientzenhofer vollendet worden war. Von Dientzenhofer stammen auch die angrenzenden Klostergebäude, die unter anderem über einen Krankensaal, eine eigene Kapelle, eine großzügige Bibliothek und ein Refektorium verfügten. 1785 hob Kaiser Joseph II. das Kloster auf. Kirche und Konvent wurden 1789 verkauft und 1791 dann von der Gemeinde Prag erworben, die sie als Getreidespeicher und Möbellager nutzte. 1865 wurde die Kirche geräumt, für die Nutzung als Konzertsaal renoviert, nach einiger Zeit jedoch an die Orthodoxe Gemeinde vermietet.

Prälatur und Konvent kaufte für 13 000 Gulden Šimon Král, der den Betrag letztendlich jedoch nicht aufbringen konnte, so dass beide Baulichkeiten an Dorothea Sänger fielen, Karel Schwestkas spätere Ehefrau. Das barocke Erscheinungsbild der Gebäude blieb bis zur Assanierung der Altstadt und der Josefstadt unverändert; 1897 wurden sie durch Neubauten ersetzt. Von dem ursprünglichen Klosterkomplex steht heute nur noch die Kirche.

Die Klosterbibliothek stand ab 1816 für eine öffentliche Nutzung zur Verfügung. Damals übersiedelte hierher aus der Prager Neustadt, aus dem so genannten Billot-Haus auf der Gerstengasse (Ječná, Konskriptionsnr. 506), die Laienspielgruppe der deutschen Handelsgehilfen unter der Leitung von Klement und Balke. Die private Bühne sollte verschiedenen Laienspielgruppen zur Verfügung stehen. Klements Ensemble hatte dabei die Rolle einer geschäftsführenden Kommission, die damit betraut war, für die jeweiligen Amateurbühnen die amtliche Genehmigung zu erwirken. Balke hatte 1816 mit dem Bibliothekssaal des aufgehobenen Benediktinerklosters St. Niklas einen geeigneten  Theaterraum ausgemacht, den er für 70 Gulden jährlich von Karl Sch., dem damaligen Eigentümer, mieten konnte. Sch. trug sogar 70 Gulden zur Renovierung des Raumes bei. 

Die neue Bühne des „Dilettanten-Theaters zu St. Niklas“ hatte jedoch kein allzu bequemes Zuhause gefunden. Der Besucher musste über steile Treppen bis ins dritte Stockwerk hinauf in den Zuschauerraum, der 160 Plätze bot, davon 92 reservierte Sitzplätze, hinzu kamen die schwer zugänglichen Plätze in der ersten Reihe, vierzig Sitzplätze auf der Galerie und vier Logen mit insgesamt zwanzig Sitzen. Der Raum war 18 m lang und 8 m breit.

Wer Mitglied des Vereins werden wollte, musste 40 Gulden entrichten; diesen Betrag bekam er erstattet, sollte er aus dem Verein entlassen werden; bei einem freiwilligen Austritt konnte er ihn nicht zurückverlangen. Klement war sowohl künstlerischer wie organisatorischer Leiter, allerdings nur für zwei Monate. Am 16. 5. 1816 wurde die Bühne eröffnet: mit einem Prolog von Baron Steinmetz, mit Kotzebues Lustspiel Die englischen Waaren und d´Allayraks Singspiel Die Nacht im Walde (Dvě slova aneb Nocleh v lese in der tschechischen Übersetzung von J. N. Štěpánek war bereits 1815 im Ständetheater gegeben worden); in welcher Sprache die einzelnen Stücke hier zur Aufführung kamen, ist nicht mehr zu ermitteln. Im Juli übernahm Bardaczi die Leitung des Theaters, um sie drei Monate später dem bisherigen Regisseur Kramer zu übertragen (auch Krammer; Alois, nach anderen Angaben auch Antonín), einem angesehenen Prager Buchhändler, unter dem die Bühne großen Aufschwung nahm. Die Rollen wurden mehrheitlich doppelt besetzt, talentierte Mitglieder waren in genügender Zahl vorhanden und viele wurden später in die Ensembles fester Häuser übernommen, wo sie als natürliche Vorbilder galten. Kramer selbst hatte praktische Theatererfahrung; Hauschild, sein Regisseur und eigentlich Staastbeamter, war ein ausgezeichneter Schauspieler, insbesondere in der Rolle als komischer Alter. Kramer stellte die Bühne mit den Mitgliedsbeiträgen finanziell auf sichere Füße; außerdem sicherte er sich schließlich mit der Organisation von Benefiz-Veranstaltungen ein behördliches Privileg. Am 27. 8. 1817 fand die erste Vorstellung für einen wohltätigen Zweck im Armenhaus St. Bartholomäus statt (Treitschke: Das Singspiel auf dem Dache, Kotzebue: Die FeuerprobeDas verlorene Kind mit Musik des Kapellmeisters T. Zeh). Kramer leitete das St. Niklas-Theater bis 1818 und gründete dann eine Theatergesellschaft auf dem Land, die im Winter in Pilsen / Plzeň spielte, im Sommer in Karlsbad / Karlovy Vary. Zu einem Drittel bestand sie aus den Mitgliedern seines Prager Theaters.  

Leitung und Privileg des St. Niklas-Theaters gingen an Karl Sch. über (bei Vondráček Jan Karel Švestka), der die Benefiz-Veranstaltungen weiterführte: zu Gunsten des Städtischen Armenhauses St. Bartholomäus, des Blindeninstituts, des Taubstummeninstituts, des Krankenhauses der Elisabethinerinnen, des Vereins zur Unterstützung der Gemeindearmen, des Welschen Waisenhauses etc. (insgesamt spielte das Theater für wohltätige Zwecke 20 353 Gulden ein). Um den Erlös zu steigern, druckte der Buchhändler und Drucker Gottlieb Haase die Besetzungszettel unentgeltlich. Zu jener Zeit hatte das Theater bereits keinen Mietzins mehr zu leisten, sondern musste lediglich für die Requisiten und sonstige Utensilien aufkommen. Der Betrieb unterlag strengen Normen. Mitglied konnte nur werden, wer nachweislich in gutem Ruf stand, ehrbarer Herkunft war, durch seinen Stand oder Beruf der Bildungsschicht zugehörte, ein angenehmes Äußeres, ein höfliches Auftreten und eine reine, klare Sprechweise hatte (nach Teuber III, S. 66, Vondráček, Přehledné dějiny českého divadla I, S. 450). Auch J. K. Tyls späteres Kajetan-Theater wollte sich bei St. Niklas einmieten, musste davon jedoch absehen. Eine von Sch.s  Mietbedingungen war nämlich, dass die Mitglieder einer Theatergesellschaft hin und wieder auch in einer deutschsprachigen Vorstellung auftreten würden. Dazu waren die tschechischen Patrioten nicht bereit.

Das private überwiegend deutschsprachige St. Niklas-Theater war die führende Einrichtung unter den „Dilettanten-Theatern“ in Prag. Karl Sch. hatte die Leitung vermutlich bis Mitte der 1850er-Jahre inne und übertrug sie dann seinem Sohn Karl Eduard Sch. (1824 Leitmeritz / Litoměřice – 1887 Prag), auch Karl Schwestka jr. genannt. Dieser gab eigene Theatergesetze heraus (Teuber). Im Mitgliederverzeichnis seiner Gesellschaft (vgl. Teuber, Vondráček, Bohemia, 1915) finden sich Namen, die später zu den bedeutendsten des tschechischen Theaters gehören sollten, etwa Josef Chauer, Josef Vilém Grabinger, Jan Nepomuk Škroup, Anna Manetínská, Nina Herbstová, Ludvíka Rottová. Von den Deutschen begannen der Schauspieler Gustav Löwe und die Sängerinnen Lilli und Marie Lehmann ihre Karriere hier.  Zu denen, die bei St. Niklas blieben, gehörten Schauspielerinnen wie Baher und König, Regisseure wie Haager, Mottlik, Berdek und Heiter. Auch Sch. selbst war auf der Bühne zu sehen (z. B. als Franz Moor in Schillers Räubern). Das St. Niklas-Theater entwickelte sich allmählich zu einer Schauspielschule, einer vorbereitenden Einrichtung für die Prager Opernschule und das Ständetheater, das sich von dort seine Schauspieler holte. Am 18. 4. 1880 stellte die Bühne unter Karl Eduard Sch. (nach anderen Angaben irrtümlich auch Carl Anton Sch.) ihren Betrieb ein. Karl Eduard leitete danach kurze Zeit den Deutschen Dilletanten-Verein, eine Art Nachfolge des Schwestka-Theaters, das im Neustädter Theater eine Bühne gefunden hatte.

Zum Repertoire des St. Niklas-Theaters liegen kaum Informationen vor. (Novotný: Staropražská teatralia, die hier angeführten Quellen ließen sich nicht ermitteln). Genannt unter den Aufführungen für wohltätige Zwecke werden u. a. Guttenbergs Die Verbannung oder Der Kerkermeister von Norwich, für das Jahr 1824 die Stücke Dagobert, král Franků [Dagobert, König der Franken] Strelici [Die Schützen], Záchrana za záchranu [Rettung um Rettung] sowie Nenávist a láska [Hass und Liebe]; aus dem laufenden Repertoire sind belegt: Den Vykoupení [Der Tag der Erlösung] (1824), Kdo je nevěsta? [Wer ist die Braut?] (1827), Cesta do města [Der Weg in die Stadt] (1827), Dědictví východoindické [Das ostindische Vermächtnis], Husité před Naumburkem [Die Hussiten vor Naumburg] (1829), I mrtví trápí žárlivého [Den Eifernden quälen selbst Tote], Přítel v nouzi [Ein Freund in der Not] (1830), Goethes Die Geschwister; Novotný erwähnt außerdem einen Streit zwischen Karl Sch. und J. N. Štěpánek um Carl Töpfers Stück Hermann und Dorothea.

Quellen

Nationalarchiv der ČR: Fond der Stadthauptmannschaft und der Polizeidirektion, Prag 1769 – 1865. – 1819: Stellungnahme des Guberniums zum Gesuch A. Krammers um Genehmigung für die Gründung einer Theater- und Operngesellschaft auf dem Land. Inv.-Nr. 1999, Kart. 56. – Fond PŘ 1861–1865, Policejní ředitelství Praha I [Polizeidirektion Prag I] – všeobecná registratura / Allgemeines Melderegister, Kart. 749, Sign. Sch/111/10: červen až říjen 1861 / Juni bis Oktober 1861, dům č. p. 27-I Staroměstské náměstí / Haus Konskriptionsnummer 27-I, Altstädter Ring, K. E. Schwestka vs. Martin Balloun. – Fond PŘ 1871–1880, Policejní ředitelství Praha I [Polizeidirektion Prag I] – všeobecná registratura / Allgemeines Melderegister, Kart. 2079, Sign. Sch/111/44: 16. 10. 1874 Streit um die Meldung der Mieter im Haus Konskriptionsnummer 27-I (Niklas-Kloster, Altstädter Ring) bei der Polizeidirektion, Karl Eduard Sch.; 14. 1. 1875 offenbar Streit um die Entrichtung einer Gebühr in derselben Angelegenheit (Karl Eduard Schwestka); 8. 2. 1875 offenbar Eigentumsstreit, neben K. E. Schwestka angeführt auch Carl Anton Schwestka (aus Leitmeritz?), der offenbar seit dem 24.8.1870 in dem Haus Konskriptionsnummer 27-I wohnhaft war.

Periodika

Bohemia 54 [Prag] 1881, Nr. 337 (6. 12.), Beil. S. 2; 55, 1882, Nr. 12 (12. 1.), S. 3; Nr. 80 (21. 3.), S. 8; Nr. 159 (11. 6.), S. 15; 56, 1883, Nr. 25, Beil. S. 2; 81, 1908, Nr. 192 (14. 7.), S. 3. Deutsche Zeitung Bohemia 88, 1915, Nr. 288 (17. 10.), S. 8. 

Literatur

E. A. Hruška: Staropražská divadelní topografie. Příspěvek k dějinám pražského divadelnictví od počátku až do konce XIX. století, undatiertes Manuskript, Divadelní ústav, Kabinet pro studium českého divadla, S. 131–133.

V. Kulhánek: Geschichte des Klosters der slavischen Benediktiner und der St. Niklas-Kirche auf der Altstadt Prags mit ausführlichen Daten über das Privattheater bei St. Niklas während seines 50jähr. Bestehens, Prag 1866, S. 64.

Č. Kulhánek: Klášter a kostel sv. Mikuláše na Starém městě Pražském. Praha 1865, S. 3, 12–13.

Der Führer durch Prag von Franz Klutschak. Prag 1878, S. 239–240.

H. Katz: Klutschaks Führer durch Prag und Umgebung. Prag 1887, S. 110–111.

O. Teuber: Geschichte des Prager Theaters III. Prag 1888, S. 64–67, 827–828. 

Klášter sv. Mikuláše na Starém Městě pražském. Praha [1897], ohne Seitenzählung.

J. Vondráček: Přehledné dějiny českého divadla I–III. Praha 1926, 1930.

A. Novotný: Staropražská theatralia. Materialie k dějinám pražského divadelnictví, Praha 1955, S. 113–115, 152.

J. Vondráček: Dějiny českého divadla. Doba obrozenská 1771–1824, Praha 1956, S. 449–450, 617. 

J. Vondráček: Dějiny českého divadla. Doba předbřeznová 1824–1846, Praha 1957, S. 98, 235.

J. Vondráček: Přehledné dějiny českého divadla I–III. Praha 1926, 1930. 

Deutschsprachiges Theater in Prag: Begegnungen der Sprachen und Kulturen. Ed. A. Jakubcová, J. Ludvová, V. Maidl). Praha, Divadelní ústav 2001, S. 500.

Literatur zur Klostergeschichte

K. L. Řehák: Chrám i slovanské opatství u sv. Mikuláše na Starém Městě Pražském. Praha, Cyrillo-Methodějská knihtiskárna V. Kotrba 1896, S. 3, 30–32.

P. Vlček – P. Sommer – D. Foltýn: Encyklopedie českých klášterů. Praha, Nakladatelství Libri 1997, S. 548–551.

Abbildungen

Nationalmuseum / Národní muzeum: Fond Fotografien – Karl Sch. jr., 1859, Sign. 32 F 92; In Schwestkas Garten (Gesellschaft von Schauspielern), 1859, Sign. 32 F 93 (u. a.  Frl. Márinka Schwestka, Frau Schwestka, Frau Schwestka sen.).

Vojtěch Kubašta: Bühnenraum in Schwestkas Theater (Zeichnung Nr. 6). In A. Novotný: Staropražská theatralia: materialie k dějinám pražského divadelnictví. Praha, Čsl. divadelní a literární jednatelství v Praze 1955.

Eine anonyme Darstellung von Schwestkas Niklastheater (mit dem Eigentümer im Proszenium) um das Jahr 1870 wurde im Prager Theaterbuch 1924 abgedruckt, Prag 1924, und von dort übernommen in die Enzyklopädie Hudební divadlo v českých zemích – Osobnosti 19. století, 2006, S. 300.


Bildung: 30.11.2012

Autor: Homolová Richtrová, Nikola