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Bedeutender Schauspieler komischer Rollen, Regisseur und Pädagoge der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts, der die meiste Zeit seines Lebens am Königlichen Schauspielhaus in Berlin verbrachte. Als Schauspieler und Regisseur machte er sich am Prager Ständetheater in den 60-er Jahren einen Namen. Es verfasste auch Schauspiellehrbücher.
Geschrieben auch Heinrich W. Oberländer. Sohn eines Apothekers aus Kamienna Góra (Landeshut) in Schlesien. Er besuchte das Gymnasium in Görlitz, doch als er in der Schule an Kämpfen mit krummen Säbeln teilnahm, nahmen ihn seine Eltern zur Strafe von der Schule und schickten ihn zu einem Onkel auf dem Lande in die Lehre. Nach dieser Erfahrung beschloss O. sich dem Schauspiel zu widmen, was er jedoch erst nach dem Tode seines Vaters tat. Er trat in einem nicht näher bekannten Theater von nicht allzu gutem Ruf auf, sein erstes bedeutenderes Engagement erhielt er am Stadttheater in Bremen bei Direktor L. A. Wohlbrück. Kurz darauf wirkte er in Oldenburg, er hatte ein Engagement in Görlitz und Legnica (die Theater waren administrativ verbunden), im Sommer 1858 trat er im Theater in Breslau auf, 1859–60 spielte er in Königsberg. Von Herbst 1860 bis April 1871 war er Mitglied des Prager Ständetheaters mit Ausnahme der Saison 1863/64, als er Mitglied des Großherzöglichen Hoftheaters in Weimar war. 1871 nahm er das Angebot des Königlichen Schauspielhauses an und zog nach Berlin, am 28.10.1876 wurde er zum Mitglied des Königlichen Schauspielhauses auf Lebenszeit ernannt. In Berlin unterrichtete er Schauspiel, zu seinen bekanntesten Schülern gehörten A. Bassermann, A. Matkowsky, G. Thielscher, R. Nhil, F. Basil, W. Sandrock, H. Vallentin, W. Steinbeck oder R. Pasch. Er erhielt eine Reihe von Auszeichnungen, u. a. eine Auszeichnung von Ludwig II. von Bayern, die Ludwigsmedaille für Wissenschaft und Kunst oder von Friedrich Franz II., Großherzog von Mecklenburg, die Medaille für Kunst und Wissenschaft. Kurz vor seinem Tode wurde er von Kaiser Wilhelm II. zum Professor ernannt, die Ernennungsurkunde erhielt er im Krankenhaus. Er starb am 30.1.1911, beigesetzt wurde er in Berlin auf dem Dreifaltigkeitsfriedhof II in der Bergmannstraße.
Seine Frau war ab 1870 Laura Laufer († 1884), eine Opernsängerin vom Königlichen Schauspiel in Berlin.
Ab 1862 war O. Hilfsregisseur des Schauspiels; Hauptregisseur des Ständetheaters war F. Hassel, an den sich O. später dankbar als seinen Lehrer erinnerte. Ein Jahr nach seiner Rückkehr aus Weimar wurde O. zum Oberregisseur des Schauspiels ernannt. Während seiner Leitung erreichte das Prager Schauspiel ein hervorragendes Niveau, gastierende Wiener Schauspieler referierten vom Prager Theater als dem Hofburgtheater in Böhmen, was unter anderem dazu führte, dass O. ans Wiener Burgtheater eingeladen wurde. Hier stellte er sich als Malvolio (W. Shakespeare: Was ihr wollt) und als Magister Reisland (R. Benedix: Der alte Magister) vor. In der letztgenannten Rolle gastierte er später erfolgreich auch im Königlichen Schauspielhaus in Berlin 12.12.1870, wo er kurz darauf ein Engagement antrat. Von Prag verabschiedete er sich am 1.4.1871 in der Rolle des Magister Reisland.
Seine pädagogischen Erfahrungen aus Berlin konnte er verwerten, indem er das dreiteilige Lehrbuch der Bühnensprache Übungen zum Erlernen einer dialektfreien Aussprache und das Handbuch Dramatische Szenen für den Unterricht verfasste. Er ist gleichzeitig der Autor mehrerer kleinerer dramatischer Stücke, der Lustspiele Ein Mann hilft den andern und Leni, des Schwanks Der Selbstmörder, des Dramas Der Herr Regierungsrat und des Dramoletts Gerichtet; alle stammen vom Ende des 19. Jahrhunderts.
O. war einer der Gründungsmitglieder des künstlerisch-rezessistischen Vereins Schlaraffia, der 1859 in Prag entstand. Er trat hier unter dem Pseudonym Ritter Box der Schlaraffenabbé auf und soll der Schöpfer des ernsthaft-humorvollen Schlaraffia-Rituals gewesen sein, das die Mitglieder bei ihren Sitzungen absolvierten. Nach seinem Weggang aus Prag trat er in die Berliner Loge Schlaraffia Berolina ein.
Wenngleich O. die meiste Zeit seines Lebens in Berlin wirkte, hat ihn das Prager Ständetheater berühmt gemacht. Damals hatte diese Bühne eine ganze Reihe herausragender Schauspieler (u. a. C. Hallenstein, E. Sauer, W. Eichenwald, V. Kühns, von den Damen dann A. Burggraf bzw. A. Versing-Hauptmann). Zum hohen Niveau des Prager deutschen Schauspiels trug auch O. in bedeutendem Maße bei, der zu dieser Zeit ihr Oberregisseur war.
Rollen
Stadttheater Bremen
Gustav, ein junger Förster (R. Benedix: Weiberfeind) – 1856.
Ständetheater Prag
Doktor Appiano (H. Börnstein: Das Mutterherz oder Ein Weib aus dem Volke), Abraham Meier (A. Bahn nach A. Decourcelle: Man sucht einen Erzieher), Magister Lassenius (T. Hell: Der Weiberfeind in der Klemme), Mephistopheles (J. W. Goethe: Faust), Wurm (F. Schiller: Kabale und Liebe), Guatinara (B. Davison nach E. Scribe: Die Märchen der Königin von Navarra), Gottfried Wöhrmann (Ch. Birch-Pfeiffer: Eine Familie), Philipp (R. E. Prutz: Moritz von Sachsen), Lord Lilburne (Ch. Birch-Pfeiffer: Nacht und Morgen), Marquis von Bréteuille (Ch. Birch-Pfeiffer: Ein Kind des Glücks), Graf Tesse (G. Meyern: Prinz Eugen), Maximilian (H. Kleist: Das Käthchen von Heilbronn), Herzog von Penn-Marr (T. Gaßmann nach E. Scribe: Feen-Hände), Fabian Schmerl (Ch. Birch-Pfeiffer: Der Leiermann und sein Pflegekind), Hermann Gessler (F. Schiller: Wilhelm Tell), Der Baron (P. A. Wolff: Cäsario oder Die bekehrte Spröde), Polydor (F. Halm: Der Sohn der Wildnis), Ferdinand Toledo (L. Wohlmuth: Deutsche Treue), Benjamin, Spitzbube (G. Freytag: Die Valentine), Capulet (W. Shakespeare: Romeo und Julia), Marquise de Chalisac (H. Hersch: Anna-Lise), Kammerjunker von Dornhelm (F. L. Schröder nach Beaumont und Fletcher: Stille Wasser sind tief), Herzog von Alba (J. W. Goethe: Egmont), Till (Kaupach: Die Schleichhändler), Rath Pilzig (K. A. Görner: Tantchen unverzagt), Lord Nottingham (H. Laube: Graf Esser), Commissionsrath Presser (W. Friedrich nach Bayard und de Vailly: Er muß auf‘s Land), Andreas von Mansfelt (Ch. Birch-Pfeiffer: Mutter und Sohn), August (R. Benedix: Die Dienstboten), Lamoignon (K. Gutzkow: Das Urbild des Tartuffe), Herzog du Maine (Ch. Birch-Pfeiffer: Die Marquise von Villette oder Eine Ballnacht am Hofe Ludwigs XIV.), Knisslig, Winkelschreiber (A. Bergen [Pseud. Adolphi]: Der Winkelschreiber), Nikolaus Haubenschmidt (O. Redwitz: Der Kunstmeister von Nürnberg), Muley Hassan (F. Schiller: Fiesco), Bor (G. Freytag: Graf Waldemar), Elias Krumm (A. Kotzebue: Der gerade Weg das Beste), Reinhold, der Müller (E. Raupach: Der Müller und sein Kind), Talbott (F. Schiller: Die Jungfrau von Orleans), Don Sancho Davila (G. Putlitz: Don Juan d‘Austria), Chevalier de Lorraine (P. Heyse: Elisabeth Charlotte), Franz Welser (O. Redwitz: Philippine Welser), Rodricourt (E. Girardin: Ein Hut), Wilhelm Cecil (F. Schiller: Maria Stuart) – 1860; Antigonus (W. Shakespeare: Ein Wintermärchen), Juan Jacques Rousseau (E. M. Dettinger: Sophie Arnould), Mathias (H. S. Mosenthal: Der Sonnwendhof), Schewa (R. Cumberland: Der Jude), Tranio (Deinhardstein nach W. Shakespeare: Widerspenstige), Franz (F. Schiller: Die Räuber), Rabbi Ben Aliba (K. Gutzkow: Uriel Acosta), Quentin (V. Sardou: Die starken Frauen), Ludwig der XIV. (C. P. Berger: Jean Bart am Hofe), Unruh (E. Bauernfeld: Bürgerlich und romantisch), Bercourt (?: Die Tochter der Grille, O. Benefizveranstaltung), Wolf (F. Raimund: Der Verschwender), Baron von Rautenkranz (K. Blum: Ich bleibe ledig), Klaudius (W. Shakespeare: Hamlet, Prinz von Dänemark), Charrier (E. Augier: Die Unverschämten), Graf Steinhausen (F. W. Hackländer: Der geheime Agent), Narziß Rameau (A. F. Brachvogel: Narziß), Herr von Egri, Gutsbesitzer und Landwirth (A. Berla: Der Zigeuner), Baron von Montrichard (E. Scribe: Der Damenkrieg). – 1861; Voigt, Bürgermeister (R. Benedix: Die Crinolinen-Verschwörung), André, Beamter im Bureau des Präsidenten (J. F. Retland: Das ist unmöglich!), Graf Bruchsal (G. E. Lessing: Minna von Barnhelm oder Das Soldatenglück), Rippelberger (A. Hirsch: Sand in die Augen), Salomon Beer (J. Rosen: Im Parlament), Donnersdorf, Oberstlieutant eines Hussaren Regiments (H. Börnstein, nach dem franz. Original Riche d‘Amour von Xavier, Duvert und Lauzanne: Reich an Liebe oder Nur fünf Gulden), Manasse Vanderstraaten, ein reicher Handelsherr in Amsterdam (K. Gutzkow: Uriel Acosta), Doktor Flaveul, Wundarzt (Ch. Birch-Pfeiffer: Ein Kind des Glücks), Darmentier, ein Arzt (A. W. Hesse: Ein Arzt), Martin Winter, ein reicher Bauer (R. Kneisel: Lieder des Musikanten), Alfred von Berg (F. Förster: Der Freund der Frauen, O. Benefizveranstaltung), Kalinsky, Aufwärter und Factotum der Studenten (C. Lebrün: Humoristische Studien), Graf Nogent-Beautrü, Staatsrath und Cavalier der Königin (Ch. Birch-Pfeiffer: Mazarin), Der Onkel (H. Worttil: Ein Kuss), Maxmilian (F. Schiller: Die Räuber), Don Policastro, Gouverneur des Pallastes (C. Blum nach C. Gozzi: Das laute Geheimnis), Amias Paulet, Hüter der Maria (F. Schiller: Maria Stuart), Don Florindo, Obergärtner (J. B. Zahlhas: Marie Louise von Orleans), Meusler (R. Benedix: Das Lügen), Vater Gaillard (Ch. Birch-Pfeiffer: Die Grille), Der Marquis von Lormias (L. Göler: Die Memoiren des Satans), Tranio (J. L. Ludwig nach Shakespeare: Widerspenstige), Dubois, Leibarzt (K. Gutzkow: Das Urbild des Tartuffe), Baron Friedhelm (F. L. Schröder nach Beaumont und Fletcher: Stille Wasser sind tief), Doctor Blackhorst (Ch. Birch-Pfeiffer: Die Waise aus Lowood), Doktor Fels (K. Gutzkow: Werner oder Herz und Welt), Pomponius (C. Blum nach Bayard: Vicomte von Letorières oder Die Kunst zu gefallen), Brabantio, Senator (W. Shakespeare: Othello, der Mohr von Venedig), Miller, Stadtmusikant (F. Schiller: Kabale und Liebe), Andreas Doria, Doge von Genua (F. Schiller: Fiesco), Balthasar Haupe, Kaufmann aus Wien (E. Nessl: Ein Schnitzel mit Hindernissen), Massud, ein reicher Landmann (F. Grillparzer: Der Traum ein Leben), Octavio Piccolomini (F. Schiller: Wallensteins Tod), Zacharias, Edler von Lieberkühn (C. Blum: Die Schule der Verliebten), Justizrath Schönfeld (L. Berting: Ein Trauring), Franziskus, ein Notar (K. Holtei nach Shakespeare: Viel Lärm um nichts), Commerzienrath Leipziger (A. F. Weidner: Lustschlösser), Lindner, Diener in Tannenhof¢s Hause (R. Benedix: Mathilde), Rath Börner (L. Feldmann: Die Schickfallsbrüder), Don Fernando de Azevedo (P. A. Wolff: Preciosa), John Harris, Arzt (L. Angely nach Mélesville: Sie ist wahnsinnig), Baron von Holbach, Philosoph der Encyclopädie (A. F. Brachvogel: Narziß), Der Schulmeister (H. S. Mosenthal: Deborah), Soest, Krämer (J. W. Goethe: Egmont), Clotald, Vertrauer des Königs (P. Calderon: Das Leben eint Traum), Fabian Schmerl, Vagabund (Ch. Birch-Pfeiffer: Der Leiermann und sein Pflegekind), Walter Brown, Kaufherr (C. Töpfer: Die Gebrüder Foster), Gärtner, ein reicher Grosshändler (R. Benedix: Der Vetter), Des Prades, ein Priester aus Brabant (Ch. Birch-Pfeiffer: Ein Billet), Egeus, Vater der Hermia (W. Shakespeare: Ein Sommernachtstraum), Graf von Lerma (F. Schiller: Don Carlos, Infant von Spanien), Leutner, Advokat (A. Schreiber: Ein großer Redner), Fabrice (J. W. Goethe: Die Geschwister), Eulenburg, Kaufmann (H. Lorm: Die Alten und die Jungen), Baron Rath (M. Ebner-Eschenbach: Die Veilchen), Petroff, Bürger (C. Heigel: Marfa), Hartlieb, Concertmeister (R. Benedix: Gegenüber!), Roffe (W. Shakespeare: Macbeth) – 1862; Chantal (?: Fabrikant); ? (M. Tenelli: Die Mönche, Benefizveranstaltung) – 1867; Hirschbach (R. Benedix: Die relegirten Studenten), Wilhelm Hendemann, Kommerzienrath (H. Müller a E. Pohl: Hendemann und Sohn) – 1868.
Grossherzogliches Hoftheater Weimar
Chantal (?: Fabrikant) – 1863.
Hofburgtheater Wien
Malvolio (W. Shakespeare: Was ihr wollt), Bidaut (Die Eine weint, die Andere wacht), Magister Reisland (R. Benedix: Der alte Magister) – 1867.
Königliches Schauspielhaus Berlin
Magister Reisland (R. Benedix: Der alte Magister), Graf Steinhausen (F. W. Hackländer: Der geheime Agent), Bidaut (Die Eine weint, die Andere lacht) – 1870; Just (G. E. Lessing: Mina von Barnhelm) – 1871.
Stücke
Ein Mann hilft dem andern; Leni; Der Selbstmörder; Der Herr Regierungsrat; Gerichtet; alle führt W. Kosch an, eine Publikation und auch eine Aufführung konnte jedoch nicht überprüft werden.
Theatralia
Übungen zum Erlernen einer dialektfreien Aussprache; Dramatische Szenen für den Unterricht.
Quellen
NMd Prag: Sammlung von Theaterzetteln, Zettel des Ständetheaters aus den Jahren 1861–1862.
NA Prag: Polizeidirektion I., Konskription, Kart. 433, Abb. 64 [Name, Mädchenname, Geburtsjahr der Ehefrau].
SOA Prag: Fonds Großgut Křivoklát, Inv.-Nr. 4068_22 [Fotografie].
Literatur
Deutscher Bühnen-Almanach (Berlin) 1857, T. [2], S. 64; 1858, S. 88, S. 162; 1859, T. [2], S. 85, S. 165; 1860, S. 240 (Engagement in Königsberg); 1861, S. 166 (Weggang nach Prag); 1865, S. 305 (Engagement in Weimar); 1866, S. 265 (Regisseur im Ständetheater), S. 327 (Rückkehr aus Weimar nach Prag); 1867, S. 308 (Gastspiel in Wien); 1870, S. 276 (Gastspiel in Liberec); 1872, S. 26, S. 35, S. 244 (Gastspiel in Pest); 1882, T. 2, S. 144–147 (Schauspielermedaillon, Jahr der Eheschließung mit L. Laufer 1870); Almanach des königl. Ständischen Theaters zu Prag (Prag), 1861, S. 10; 1866, S. 8; Teuber III, S. 513–514, 529, 613, 615; Prager Abendblatt 10. 12. 1868, S. 3; Prager Tagblatt 25. 12. 1908, s. 44 (O. Unterschrift); Wiener Zeitung 22. 1. 1911 (Ernennung zum Professor) ● Nachrufe: Prager Tagblatt 30. 1. 1911; Prager Abendblatt 30. 1. 1911; Neues Wiener Tagblatt 31. 1. 1911; Grazer Tagblatt 31. 1. 1911; Neuer Theater Almanach (Berlin) 1912, s. 156 – 157 ● K. Walko: Schlaraffia, Prag 1936, S. 11; K. Hlavničková: Když se psalo Anno Uhui. Spolek Schlaraffia v českých zemích [Als man Anno Uhui schrieb. Der Verein Schlaraffia in den böhmischen Ländern], Bachelorarbeit, Philosophische Fakultät der Südböhmischen Universität, 2012, S. 83.
Eisenberg, Flüggen, Kosch Th, Ulrich
Bildung: 2019