Lössl, Carl

Carl
Lössl
12. 5. 1817
Wien (A)
3. 7. 1902
Wiener Neustadt (A)
Schauspieler, Theaterdirektor

Zwanzig Jahre lang wirkte er als Schauspieler, ab Mitte der 50-er Jahre des 19. Jahrhunderts auch als Direktor von Theatern der Habsburger Monarchie. Er leitete die städtischen Theater und Budweis (1854–1858) und Liberec (1858–1860), 1857 konnte er auch über den Sommer das Theater in Františkovy Lázně anmieten, was sehr lukrativ war. L.s erfolgreicher Unternehmenstätigkeit wurde 1873 durch den Staatsbankrott ein Ende gesetzt.   

Geschrieben auch Lößl oder Lössel. Sein Vater Karl Lössl war Schauspieler und Autor von Theaterstücken. L. feierte 1834 bei Direktor J. A. Stöger am Theater in der Josefstadt sein Debüt als Schauspieler. Im Laufe von zwanzig Jahren wechselte er zwischen zahlreichen Engagements auf dem Gebiet der Habsburger Monarchie (Klagenfurt, Zagreb, Maribor), am meisten war er in Ungarn unterwegs (Pressburg, Trnava, Sopron, Raab). Er spielte ernste und auch komische Charaktere, von Nebenrollen ging er Mitte der 40-er Jahre zu wesentlicheren Verkörperungen von Rittern, Intriganten oder komischen Vätern über, er spielte auch Dialektrollen und Chargen. In den Theatergesellschaften beteiligte er sich gleichzeitig auch an der Verwaltung als Sekretär oder Bibliothekar, wodurch er wertvolle Erfahrungen für ein selbstständiges Theaterunternehmen sammelte. Dieses startete er 1854 als Direktor des Städtischen Theaters in Budweis, das er bis 1858 leitete. Auf der Basis einer erweiterten Konzession für den Bezirk Tabor, Pilsen und Písek reiste er im Sommer mit seinem Ensemble nach Písek, Klatovy, Český Krumlov, Jindřichův Hradec und Pilsen. Für die Sommersaison 1857 konnte er das Theater in Františkovy Lázně anmieten und reiste zu Vorstellungen nach Cheb und Pilsen. In den Saisons 1858/59 und 1859/60 hatte er die Leitung des Stadttheaters Liberec, das der dortigen Tuchmacherzunft gehörte. Eine kurze Station in Mladá Boleslav im April und Mai 1858 scheiterte durch einen Brand, der den Fundus der Gesellschaft völlig vernichtete. L. ging dann nach Nový Bor und Česká Lípa, wo er im Garten des Hotels vor Ort ein Sommertheater einrichtete. In der Saison 1860/61 war er Direktor des Stadttheaters im steierischen Maribor, 1862–64 leitete er das Privat Theater in der Wiener Neustadt. In die böhmischen Länder kehrte er 1864 zurück und leitete eine Saison lang das Stadttheater in Znojmo. In der Saison 1866/67 hatte er das Theater Colosseum in der Wiener Vorstadt Braunhirschengrund (heutiger XIV. Wiener Bezirk Rudolfsheim-Fünfhaus) angemietet, dessen Eigentümer C. Schwender war. Nach Böhmen kehrte L. 1873 zurück, wo er Schauspieler und Sekretär bei Direktor J. Posinger wurde, der das Theater in Liberec und gleichzeitig das Sommertheater in Prag im Pstross´schen Garten gepachtet hatte. Im April 1874 wurde von der böhmischen Statthalterschaft sein Antrag auf eine neue Konzessionsberechtigung abgelehnt, und L. kehrte nach Ungarn zurück. Der Krach an der Wiener Börse 1873 ereilte ihn als Theaterdirektor in Levoča (Slowakei) – wie zahlreiche andere verlor auch L. einen Großteil seiner Ersparnisse. Nach dem Tode seiner Frau Elisabeth im August 1878 lebte er in Wien und verdiente seinen Lebensunterhalt damit, dass er Theaterrollen abschrieb. 1888 heiratete er noch einmal, und zwar die dreiundzwanzig Jahre jüngere Leopoldine Groh, die Tochter eines Wiener Drechslers. Er starb zwölf Jahre später infolge eines Lungenödems (Lungenschwellung), 5. 7. 1902 wurde er in der Wiener Neustadt beigesetzt.
Sein Vater Karl Lössl (2. 8. 1770 – vor 1840) war Schauspieler und Gelegenheitsdramatiker, der das Künstlerpseudonym Klees (Abkürzung für K. Lössl) verwendete. Er trat im Theater an der Wien auf, ab 1811 nach der Zusammenlegung der Verwaltung beider Bühnen auch am Wiener Hoftheater. Seine Stücke spielten das Theater in der Leopoldstadt (1803 Lustspiel Die Probe) oder seine Heimstätte, das Theater an der Wien (1814 Schauspiel mit militärischem Sujet Die deutschen Söhne in Hessen), als Dramatiker konnte er sich jedoch nicht durchsetzen. Gegen Ende seines Lebens verdiente er als Theaterkassenwart seinen Lebensunterhalt. L.s erste Frau Elisabeth, geb. Gröschl (1801 – 21. 8. 1878), war Schauspielerin. Sie stammte aus Pressburg und kümmerte sich in L.s Gesellschaft um die Kasse und die Finanzen. Aus gesundheitlichen Gründen verließ sie 1866 das Theater und starb zwölf Jahre später in Baden bei Wien.

Als Direktor einer Theatergesellschaft orientierte sich L. zuerst überwiegend auf das Schauspiel, vor allem die Posse. Ab seiner Budweiser Saison 1857/58 erweiterte er das Repertoire um das Lustspiel, beginnend mit der Saison in Liberec 1859/60 nahm er die Operette auf, die ab den 60-er Jahren das Singspiel ersetzte. Das Programm der Gesellschaft bestand aus populären Lustspielen, Zauberstücken, Possen und Genrebildern des Wiener Volkstheaters (F. Raimund: Die VerschwenderDer Alpenkönig und der Menschenfeind, C. Haffner: Therese Krones, C. Carl: Staberlʼs Reiseabenteuer in Frankfurt und München oder Parapluiemacher und Lord), Kotzebues Stücken (Die StricknadelnDie Pagestreichen), Ritterspielen (H. Cuno: Das Diadem, oder Die Ruinen von Engelhaus) und zeitgenössischen historischen Stücken (H. Laube: Graf Essex, A. E. Brachvogel: Narciss) bzw. Bühnenbearbeitungen (Ch. Birch-Pfeiffer: Die Waise von Lowood). So wie bei anderen Gesellschaften war das klassische und anspruchsvollere Repertoire eher am Rande vertreten. In der Fastenzeit profitierte L. von der Veranstaltung von Maskenbällen (Budweis, Liberec). Zu den Pflichten des Budweiser Theaterpächters gehörten auch Wohltätigkeitsveranstaltungen, deren Erlöse den Armen zugutekamen, auch musste dieser das Theater dem Musikverein für Konzerte zur Verfügung stellen, wenn in der Zeit keine Theatervorstellungen und Bälle stattfanden. Die Vorstellungen von L.s Gesellschaft wurden von einem Orchester unter der Leitung von Regenschori J. Ployhar begleitet, dieses setzte sich aus Mitgliedern des Feldjägerbataillon der Gegend zusammen, in Pilsen dann aus Musikern der Städtischen Schießkapelle. Das Gastspiel von L.s Ensemble in Písek fand im provisorisch angepassten Hof des Hauses des Kaufmanns J. Otta statt. Bestandteil des Programms waren auch Gastspiele von für die Zuschauer attraktiven Künstlern oder Engagements von ganzen Ensembles, wenn man dem Publikum beispielsweise ein Genre anbieten musste, dem sich L.s Gesellschaft üblicherweise nicht widmete. Im Laufe der Saison in Františkovy Lázně im Jahre 1857 trat zusammen mit dem Ensemble die britische Tänzerin L. Thompson vom Londoner Theater Drury Lane und 1858 der Affendarsteller E. Klischnigg auf. Im selben Jahr trat in Františkovy Lázně die Ungarische Nationaltänzer Gesellschaft auf, 1860 das Ensemble des Sängers H. Meinhardt, der zwanzig Vorstellungen italienischen, französischen und deutschen Opernrepertoires von V. Bellini, G. Donizetti, G. A. Lortzing, C. M. Weber und O. Nicolai gab. In der Saison 1866/67 gastierte in Pilsen der Schauspieler des Prager Ständetheaters C. Hallenstein. In L.s Ensemble traten auch einige Kollegen auf, denen er im Laufe seiner früheren Theaterlaufbahn begegnet war und die den Direktor und seine Frau früher in ihren Gesellschaften beschäftigt hatten, zum Beispiel der Schauspieler und Regisseur M. Willi, den L. als Direktor von seinem Engagement in Sopron, Raab und in Wiener Neustadt her kannte. In der Budweiser Saison 1857/58 war Willi Regisseur einer Posse, lokale komische Rollen und Väter verkörperte er in der Saison in Liberec 1858/59. L.s langjähriger Mitarbeiter war der Schauspieler und Regisseur C. Graube (1854–56 Budweis, 1865/66 Znojmo und 1866/67 Pilsen).
Obwohl L. als Theatermacher nur acht Saisons in Böhmen und Mähren verbrachte, erlang es ihm, Theater in größeren Städten anzumieten (Budweis, Liberec, Pilsen), die er dann auch erfolgreich leitete. Als Direktor konnte er dann die gewonnenen Erfahrungen und die Kenntnis des Umfelds verwerten, er wusste flexibel auf Veränderungen des Theaterrepertoires zu reagieren und dem Geschmack des Publikums an den Orten, an denen er gerade weilte, entgegenzukommen. Seine Beliebtheit bei den Zuschauern ergab sich aus dem guten Niveau der Interpreten, der Dramaturgie und der Ausstattung. Finanzielle Verluste und Engagements L.s in Ensembles anderer Theaterdirektoren sind eher äußeren Umständen zuzuschreiben; sein Theaterunternehmen wurde faktisch durch den Staatsbankrott beendet.

Rollen

Städtisches Theater Budweis (Městské divadlo České Budějovice)
Pst, reisende Regisseur eines Volkstheaters (K. Schick: Der Postilon vom Stadtek Enzersdorf oder Das Theater im Theater – 1854; Archibald Zenger (M. Meyer: Agnes Bernauer oder Herzog Albrecht von Bayern), Maulschlender, Israelit (K. Elmar, h. A. Müller: Das Mädchen von der Spule oder Entsagung und Genuss), Maler Kranz (H. Schmidt: Der Verstorbene oder Undank und Vergeltung), General Vendome (G. N. Bärmann: Napoleon oder Der Mann des Ruhmes), Hudson Lowe, Gouverneur auf St. Helena (G. N. Bärmann: Napoleon oder Der Mann des Ruhmes), Theaterdirektor Pawilion (F. Blum: Das Auffinden der Zwerge), Hartmann, Doktor einer öffentlichen Heilanstalt (T. Megerle: Die Teichsusel und der Dorfrichter oder Der Hexen Prozeß) – 1856; General Bärenklau (T. Megerle: Der Panduren Obrist von Trenk oder Die Schicksals Profezeiung auf Czernahora) – 1858.  

Písek (Theater im Hof des Hauses von Kaufmann Jan Otta)
Ammer (F. Kaiser, h. C. Binder: Zwei Testamente oder Prüfungen der Armuth) – 1858.  

Stadttheater Cheb (městské divadlo Cheb)
Johann Sartori, Direktor des Leopoldstädters Theater (K. Haffner: Therese Krones), Signor Pisany (A. Langer, h. A. Müller: Die Mehlmesser Pepi, des Kaisers Gnadewort) – 1858. 

Stadttheater Liberec (městské divadlo Liberec)
Werner Stauffacher (F. Schiller: Wilhelm Tell) – 1859.      

Quellen

Österreich, Wien, rk. Erzdiözese Wien, Taufbuch 1814 (Geburt C. L.), [online, zit. 24. 3. 2020], URL: https://data.matricula-online.eu/de/oesterreich/wien/01-st-augustin/01-06/?pg=40; Österreich, Wien, rk. Erzdiözese Wien, Sterbebuch 1902 (Ableben C. L.), [online, zit. 24. 3. 2020], URL: https://data.matricula-online.eu/de/oesterreich/wien/wiener-neustadt-neukloster/03-06/?pg=163 ; Österreich, Wien, rk. Erzdiözese Wien, Trauungsbuch 1888 (Eheschließung C. Lössls mit L. Groh), [online, zit. 24. 3. 2020], URL: https://data.matricula-online.eu/de/oesterreich/wien/wiener-neustadt-neukloster/02-06/?pg=130;  Österreich, Wien, rk. Erzdiözese Wien, Sterbebuch 1878 (Ableben der Ehefrau E. Lössl, in der Matrikel eingetragen als Witwe, obwohl sie zum Zeitpunkt ihres Ablebens immer noch L.s Frau war; der Grund dafür kann ein Eintragungsfehler des Matrikelbeamten gewesen sein oder die Eheleute lebten getrennt, da der Witwenstatus E. Lössls es einfacher machte, an staatliche Zuschüsse zu gelangen, die für ihre Behandlung und ihren Lebensunterhalt notwendig waren), [online, zit. 24. 3. 2020], URL: https://data.matricula-online.eu/de/oesterreich/wien/baden-st-stephan/03-15/?pg=28.  

Staatliches Kreisarchiv České Budějovice: Fonds Südböhmisches Theater in České Budějovice, Kart. 2, Tafeln 1855–1861 (L.s Gesellschaft in Budweis).  

Staatliches Kreisarchiv Cheb: Kart. 255, Fasc. 327 (L.s Gesellschaft in Cheb).  

Staatliches Kreisarchiv Písek: Sig. VI/2, Kart. 8, 9 (L.s Gesellschaft in Písek).  

Südböhmisches Museum České Budějovice: Musikarchiv, Theaterzettel 1791–1931 (L.s  Gesellschaft in Budweis).   

Literatur

Österreichischer Theater Almanach (Prag – Wien) 1839, S. 46–48; Almanach für die Freunde der Schauspielkunst (Berlin) 1840, S. 367–3681844, S. 277–278, 1845, S. 426–428; 1846, S. 340–343; 1847, S. 187–188; 1848, S. 54–58; 1849, S. 175; 1850, S. 214–215; 1851, S. 32–34; 1853, S. 70–72; 1855, S. 91–93; Deutscher Bühnen Almanach (Berlin) 1855 [2], S. 91–93; 1856 [2], S. 137–138; 1857 [2], S. 81–83; 1858 [2], S. 103–105; 1859 [2], S. 346–349; 1860 [2], S. 343–345; 1861 [2], S. 202–204, 1862 [2], S. 178–179, 1863 [2], S. 343–344, 1864 [2], S. 312–313, 1865 [2], S. 326–327, 1866 [2], S. 357–358; 1867 [2], S. 236–238; 1874 [2], S. 385­–386, S. 387–388; Anzeiger aus dem südlichen Böhmen (Budweis) 29. 10. 1856; Bohemia (Prag) 26. 6. 1857, 28. 8. 1858, 3. 7. 1858, 9. 4. 1859, 27. 9. 1859, 30. 9. 1859, 14. 10. 1859, 20. 4. 1867; Egerer Anzeiger (Eger) 20. 8. 1858, 27. 8. 1858; Plzeňské noviny (Pilsen) 7. 2. 1867; Pilsner Bote (Pilsen) 18. 4. 1867, 21. 4. 1867, 25. 4. 1867; Neuer Theater Almanach (Berlin) 1903, S. 162–163 (L. Nachruf); A. John: Franzensbader Stadttheater. Festschrift zum 60 jährigen Jubiläum des Franzensbader Stadttheaters, Franzensbad 1928, S. 5–6; J. Hilmera: Činnost německých divadelních společností v českých provinciích 19. století [Die Tätigkeit der deutschen Theatergesellschaften in den böhmischen Provinzen des 19. Jahrhunderts], Praha 2006, DÚk, CD 307; R. Angermüller: Wenzel Müller und „sein Leopoldstädter Theater,“ Wien 2009, S. 136, S. 217; J. Janáček: Čtení o německém divadle v Reichenbergu [Lektüre über das deutschen Theaters in Reichenberg]Liberec 2010, S. 44, S. 70; K. Goedeke: Grundriss der Geschichte der deutschen Dichtung, Bd. XI/2, Berlín 2011, S. 216 (Dramenschaffen des Vaters von K. Lössl); M. Havlíčková, S. Pracná, J. Štefanides: Německojazyčné divadlo na Moravě a ve Slezsku 1/3 [Das deutschsprachige Theater in Mähren und in Schlesien 1/3], Olomouc 2011, S. 154.

Kosch, Ulrich  


Bildung: 2020

Autor: Hanoušek, Martin