Ferdinand Esslair, Grafik. Quelle: Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv und Grafiksammlung, Signatur: PORT_00147113_01 POR MAG. http://data.onb.ac.at/rec/baa9125357
Ferdinand
Esslair
2. 2. 1772
Hošťálkovy (Gotschdorf) (CZ) n. Osijek (Esseg) (HR)
10. 11. 1840
Mühlau bei Innsbruck (A)
Schauspieler, Regisseur

Geschrieben auch Eßlair, mit vollem Namen Ferdinand Johann Baptist. Er stammte wahrscheinlich aus Schlesien, wo er in die Familie eines höheren Beamten hineingeboren wurde (die in der Literatur erwähnte Herkunft aus der adeligen Familie Khevenhüller aus Kärnten wurde nie nachgewiesen). Er schlug zuerst die Militärlaufbahn ein, spielte jedoch seit seiner Jugend in Liebhabertheatern. Sein Debüt feierte er 1795 in Innsbruck als Mitglied der Gesellschaft von A. F. Hoffmann, 179598 war er im Passauer Ensemble von A. J. Schopf engagiert. Mit seiner Gesellschaft, die faktisch von J. K. Liebich geleitet wurde, kam E. nach Prag. Er wurde vom Direktor des Ständetheaters D. Guardasoni unter Vertrag genommen, dem die Veranstaltung von Schauspielvorstellungen in deutscher Sprache oblagen. In Prag weilte E. zwei Saisons lang, 1800 ging er nach Stuttgart, ab März 1801 spielte er in Augsburg. 1801–06 wirkte er als Schauspieler und später auch Co-Direktor des Nürnberger Theaters. Er schauspielerte und führte Regie in Mannheim (1807–12), Karlsruhe (1812–14) und dann wieder in Stuttgart (1815–20). Ab 1820 war er in München engagiert, wo er siebzehn Jahre bis zu seiner Pensionierung (1.10.1837) blieb. Auch nach seiner Pensionierung spielte E. gelegentlich im Münchener Hoftheater und reiste oft zu Gastspielen. Er starb in Mühlau in Tirol (heute Teil von Innsbruck).

E. erfreute sich des Renommees eines Schauspielstars. Seinen guten Ruf steigerte er noch durch zahlreiche Gastvorstellungen in Deutschland und Österreich. Die Kritik stellte ihn auf dieselbe Ebene wie den deutschen Schauspieler L. Devrient und verglich ihn mit D. Garrick aus England oder F. J. Talma aus Frankreich. Er spielte erste Liebhaber und Helden, später tauchte er auch in Konversations- und Väterrollen auf. Er wurde wiederholt gebeten, seine Paraderollen aus Stücken von Shakespeare (Macbeth und Lear), Schiller (Wallenstein, Karl Moor, Wilhelm Tell), Iffland, Kotzebue oder Schröder zu spielen, außerdem verkörperte er auch Goethes Götz von Berlichingen oder Theseus in Racines Phädra.

E. war groß, mit einer festen Körperhaltung, er hatte regelmäßige Gesichtszüge. Er bewegte sich mit Grazie, sein Gang war majestätisch, seine Mimik faszinierend. Er hatte eine starke Stimme und konnte mit seinem Vortrag eine breite Skala an Gefühlen und innerer Spannung der Gestalten zum Ausdruck bringen, von dramatischen und leidenschaftlichen Augenblicken bis hin zu Momenten einer inneren Beruhigung. Nach Ansicht von L. Tieck war E. Schauspielkunst ein Lebendiger Akt und nicht nur ein Aufsagen des Textes, was der Schriftsteller jüngeren Schauspielern vorwarf. In seiner Herangehensweise an die Figuren bewegte sich E. absichtlich an der Grenze zwischen verschiedenen Genres: tragische Rollen spielte er nicht ausschließlich ernst, sondern ließ auch komische Elemente einfließen, oft, um tatsächliche Gedanken und Gefühle der Figuren zu verschleiern. In der Sehnsucht nach einem ständige Nachhall tendierte er am Ende seiner Karriere zu Extempore und Künstelei. Die Unstetigkeit des Schauspielers und seine Willkür überstiegen die Grenze von künstlerischer Professionalität und Disziplin. Diese Wesenszüge waren übrigens der Grund für seinen Weggang aus Prag.

Während seines Prager Engagements wurde E. in Rollen aus dem Rollenfach weicher Liebhaber und Helden eingesetzt. Er brillierte in Rollen von Aristokraten, Soldaten und gesellschaftlich gut situierter Männer, die danach einen ständigen Kreis seiner Paraderollen bildeten, auch wenn er während seines Prager Engagements noch keine bedeutende Schauspielerpersönlichkeit war. In die böhmischen Länder führten ihn später als schon bekannten Künstler Gastauftritte zurück. In Brünn gastierte er 1826, 1832 und nach seiner Pensionierung im Juni 1838, nach Prag kehrte er 1826 und 1830 zurück. Zu seinem ersten Gastspiel in Prag erschien die Sammlung von Kritiken Esslair in Prag, die in der populären Wiener Theaterzeitschrift von A. Bauerle (Allgemeine Theaterzeitung und Unterhaltungsblatt für Freunde der Kunst, Literatur und des geselligen Lebens) erschienen waren. Ihr Autor war der Publizist, Schriftsteller Dichter und Übersetzer K. F. Dräxler, der unter dem Pseudonym Manfred veröffentlichte. Es handelt sich um gesammelte Referate, die von einer Abhandlung über E.s Persönlichkeit eingeleitet wurden, die respektvoll und stellenweise mit unverhohlener Bewunderung verfasst sind. Dräxler berichtete von E.s Leistungen in den Rollen als Lear, Macbeth, Wilhelm Tell, Wallenstein, Lessings Nathan oder Kriegsrat Dallner (A. W. Iffland: Die Dienstpflicht). Der Publikation voraus ging das ähnlich konzipierte Esslair in Wien von H. von Chezy (eigentlicher Name W. Ch. Klencke), das E.s Gastauftritte im Theater an der Wien betrachtet, jedoch umfangreicher ist und auch Auftritte des Schauspielers außerhalb Wiens kommentiert. Über einen weiteren Zyklus von elf Gastspielen im Mai 1830 referierte im Prager Blatt Bohemia der Ästhetiker A. Müller. Für seine Benefizveranstaltung wählte sich E. bei diesem Gastspiel Stücke aus, die mit den böhmischen Ländern zusammenhingen. Er verkörperte König Leontes in der späten Romanze von Shakespeare Ein Wintermärchen, gleichzeitig handelte es sich dabei um die Prager Premiere dieses Titels. Im historischen Drama von K. E. Ebert aus der böhmischen Geschichte des Mittelalters Bretislaw und Jutta (Břetislav a Jitka) spielte E. den deutschen Kaiser Konrad.

E. war ein Schauspieler, der der Aufklärung entwachsen war, und er verfügte über eine kultivierte Deklamation. In seinen Ausdruck nahm er jedoch auch Elemente mit romantischem Ausdruck unter Betonung der menschlichen Individualität, Sensibilität und Emotionalität auf. Das Prager Publikum erlebte den Beginn der Theaterlaufbahn eines talentierten und hoffnungsvollen Schauspielers sowie Auftritte einer Theaterlegende in der späten Karrierephase.

Rollen

Ständetheater Prag (Stavovské divadlo Praha)

Major Anglau (F. W. Ziegler: Der seltene Onkel), Graf St. Miérre, Amaliens Gemahl (F. W. Ziegler: Der Hausdoktor), Der Erbprinz, Rittmeister (F. W. Ziegler: Der Lorbeerkranz oder Die Macht der Gesetze), Baron Adolph von Falkenburg (A. W. Kotzebue: Die Unglücklichen), Doktor Busch (A. W. Kotzebue: Das Epigramm), Herr Siknig (Ch. H. Spiess: Die Folgen einer einzigen Lüge), Baron von Löwenstein (F. Lindheimer: Der Burggeist), Adolph von Torstenson, Schwedischer Obrister (F. W. Ziegler: Die Freunde), Sekretär Dallner (A. W. Iffland: Die Dienstpflicht), Glücker, Kammerhusar (B. J. M. Koller: Der Kammerhusar), Der junge Graf (A. W. Kotzebue: Die Korsen in Ungarn), Anton, Förster von Weissenberg (A. W. Iffland: Die Jäger), Herrmann (F. Schlenkert: Kein Faustrecht mehr), Alexander (F. W. Ziegler: Das Pettschaft oder Die Macht der Eitelkeit), Freiherr von Armenhold (F. W. Ziegler: Der Tag der Erlösung), Diethelm, ein junger Kaufmann (A. W. Kotzebue: Das Schreibpult) – 1798; Hauptmann von Helmenrach (J. F. Jünger?: Die Heirat durch Prokuration oder Der Hagestolz ein Liebhaber), Amon, Bösenbruches Knappe (F. G. Hagemann: Der Todtenkopf), West, ein junger Mensch gefangen auf der Festung (A. W. Kotzebue: Der Gefangene), Friedrich Maring, Vetter des Archivars Lestang (A. W. Iffland: Der Mann von Wort), Sekretär Wardamm (A. W. Iffland: Die Erinnerung), Advokat Hellmuth (A. W. Kotzebue: Lohn der Wahrheit), Philipp, Sohn des Burgvoigts zu Belmont (A. W. Kotzebue: Johanna von Montfauçon), Fulques von Anjou, Ritter und Marschall (F. W. Ziegler: Jolantha, die Königin von Jerusalem), Carlos de la Valla (J. Ch. Kaffka [eigentl. Name J. Ch. Engelmann]: Hugo von Allmanto), Adjutant Löwenhelm, ein geborener Deutscher (?: Die Bürgerpflicht) – 1799; Wilhelm Tell (F. Schiller: Wilhelm Tell), Theseus (J. Racine, Übers. F. Schiller: Phädra), Oberförster Warberger (A. W. Iffland: Die Jäger), Albrecht Wallenstein (F. Schiller: Wallensteins Tod), Nathan, ein reicher Jude (G. E. Lessing: Nathan der Weise), Lear, König von Brittanien (W. Shakespeare, Überarb. F. L. Schröder: König Lear), Dominique, der Essighändler (W. Vogel nach B. Mércier de Saint-Léger: Der Essighändler), Berger, ein Winzer (F. Holbein: Der Verräther), Belisar (E. Schenk: Belisar), Peter Alexejewitsch, Zar von Russland (F. Kratter: Das Mädchen von Marienburg), Macbeth (W. Shakespeare, Übers. F. Schiller: Macbeth) – 1826; Daniel, Castellan auf Runsitten (V. Vogel nach E. T. A. Hoffmann: Der Erbvertrag), Kriegsrath Dallner (A. W. Iffland: Die Dienstpflicht), Albrecht Dürer (E. Schenk: Albrecht Dürer in Venedig), Dominique, der Essighändler (V. Vogel nach B. Mércier de Saint-Léger: Der Essighändler), Leontes (W. Shakespeare: Ein Wintermärchen), Abbé de l´Épeé (A. W. Kotzebue nach J. N. Bouilly: Der Taubstumme oder der Abbé der l´Épeé), Kaiser Konrad (K. E. Ebert: Bretislaw und Jutta), Herr von Wittburg (J. F. Weissenthurn: Clementine oder Die Versöhnung), Berger, ein Winzer (F. Holbein: Der Verräther) – 1830. 

Quellen

Innsbruck-Mühlau: Totenbuch 1784–1855, Sig. MF 1239–4 (E.s Ableben in Mühlau bei Innsbruck 10.11.1840).

NMd: Sammlung von Theaterzetteln, Ständetheater 1824–1862.

ČMH Praha: Štěpánek-Album, Sig. 12/729, Nr. 31 (E.s Brief an J. N. Štěpánek 7. 5. 1832 aus Graz über ein mögliches Gastspiel im Ständetheater).  

Literatur

Allgemeine deutsche Theaterzeitung, Pressburg 1798, S. 172, S. 184, 1799, S. 9, S. 28, S. 40, S. 34, S. 73, S. 92, S. 100, S. 115; Allgemeines europäisches Journal, Brünn 1798, Bd. 5, S. 211–214, S. 209–213, Bd. 7, S. 210–216, S. 219–224, Bd. 9, S. 212–217, S. 207–213; Theater Kalender, Gotha 1800, S. 283–286; Wiener Theater Zeitung 29. 4. 1826; H. Chezy [eigentl. Name H. Ch.  Klencke]: Esslair in Wien, Wien 1824; K. k. Prager Zeitung 27. 4. 1826, 2. 5. 1830; K. F. Dräxler: Esslair in Prag. Eine kritische Beleuchtung seiner Gastdarstellung auf der böhmischen ständischen Bühne im April 1826, nebst einem Anhange, des Künstlers Lebensumstände enthaltend, von Manfred, Prag 1826 (Kritiken von E.s schauspielerischen Leistungen während eines Gastspiels im Ständetheater in Prag im Frühjahr 1826); Mährisch Ständische Brünner Zeitung 26. 4. 1829, 26. 4., 7. 6., 17. 6., 22. 6., 23. 6., 26. 6. 1832, 7. 6. 1838 (E.s Gastspiel in Brünn); Bohemia, ein Unterhaltungsblatt für gebildete Stände (Prag) 4. 5., 7. 5., 9. 5., 11. 5., 14. 5., 21. 5. 1830 (E.s Gastspiel in Prag) ● Nachruf: Neuer Nekrolog der Deutschen 1842, Weimar 1842, S. 1325–1330 ● SDČ [in A. J. Schopf, S. 548–550]; M. G. Dehrmann, A. Košenina (eds.): Ifflands Dramen. Ein Lexikon, Hannover 2009, S. 44–48, S. 136–141; O. Teuber: Geschichte des Prager Theaters (II.), Wien 1885, S. 358–361; J. Ludvová: Historický repertoár Stavovského divadla [Historisches Repertoire des Ständetheaters] 11. 9. 1815 – 30. 6. 1815, Praha 2018 [online, zit. 3. 10. 2020] URL: http://encyklopedie.idu.cz/index.php/Historický_repertoár_Stavovského_divadla_11._9._1796_–_30._6._1815

ADB, DB, Eisenberg, Kosch Th, ÖBL, Ulrich, Wurzbach


Bildung: 2020

Autor: Hanoušek, Martin